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Der Patenjunge Dayson (16) möchte Physiker werden. © Foto: Plan/Marc Tornow
Der Patenjunge Dayson (16) möchte Physiker werden. © Foto: Plan/Marc Tornow
27.08.2018 - von Marc Tornow

Der Naturwissenschaftler aus den Bergen von Jacmel

Das zweite Gesicht Haitis ist paradiesisch. Wer die staubige Hauptstadt Port-au-Prince, Haiti, verlässt, findet atemberaubend schöne Landschaften vor. Das Leben ist für die Menschen indes auch hier draußen in den Bergen entbehrungsreich – wie ein Besuch beim Patenkind Dayson zeigt.


Hinter der Stadtgrenze von Port-au-Prince wird es gemütlicher. Das Grün kehrt zurück und der Dauerstau mit all den Abgasen verschwindet. Mit jedem Kilometer, den man sich von der haitianischen Hauptstadt entfernt, wird die Szenerie pittoresker. Palmen säumen soweit das Auge reicht die Hügel des Massif de la Selle. Über die Bergkette im Süden des Inselstaates flattern Papageien und entlang der Hänge haben Bauern in mühevoller Kleinarbeit Terrassenfelder angelegt. Spuren des Erdbebens von 2010, dessen Epizentrum sich auf halber Strecke zwischen Port-au-Prince und der Ortschaft Jacmel im Süden befand, sind indes nicht mehr zu sehen.

Als Geste des guten Willens unterstützte die frühere Kolonialmacht Frankreich den Bau einer neuen Verbindungsstrecke. Die „Straße der Freundschaft“ windet sich kurvenreich durch die immer grüne Natur – und endet schließlich in der Kleinstadt Jacmel direkt an der Karibischen See. Das Meer leuchtet im gleißenden Sonnenlicht türkis-blau und wären da nicht die vielen bescheidenen Häuser der Fischerfamilien am Strand, man könnte sich wie in einem Werbeprospekt für ein Urlaubsparadies fühlen.

Doch paradiesisch ist der Alltag in diesem Teil des Landes ganz und gar nicht. Es fehlt an Infrastruktur, zum Beispiel an Müllentsorgung, Stromanschlüssen, Wasser- oder Abwassersystemen. Immer wieder zerstören gewaltige Wirbelstürme die Küstenstraße und reißen das wenige Hab und Gut der Menschen fort. In der Ortschaft Marigot – 25 Kilometer östlich von Jacmel – baute Plan International eine neue Schule. Davon profitiert neben vielen Mädchen und Jungen aus der Gemeinde auch Dayson. Der 16-jährige Patenjunge lebt mit seiner Mutter und vier Schwestern weiter oben am Hang mitten im Unterholz.

„Am liebsten wäre es mir, wenn es nie wieder eine Naturkatastrophe gäbe“, schildert Dayson seinen größten Wunsch. 2016 traf in der einst dicht bewaldeten Dorfgemeinde Hurrikan Matthew auf Land. Schlimmer als der Sturm waren allerdings die sintflutartigen Regenfälle, die das Unwetter mitbrachte und die auch Daysons Familie trafen. „Im Unterricht lernen wir vom Klimawandel und welche Folge die immer stärkeren Wirbelstürme auch für Haiti haben“, sagt Dayson. Der fußballbegeisterte Junge möchte gern Mediziner oder Physiker werden. Die Naturwissenschaften fesseln ihn, und darin bringt er auch die besten Noten mit nach Hause.

Mutter Chricilia bringt sich und ihre fünf Kinder alleine durch, seit der Vater für eine andere Frau fortging. „Von Plan bekam ich damals Ziegen für die Aufzucht“, sagt die 58-Jährige mit geradezu jugendlichem Elan. „Das hat mir und meinen Kinder das Überleben gesichert.“ Die Ziegen vergab das Kinderhilfswerk im Rahmen seiner Patenschaftsprojekte an besonders arme Familien. Der vierbeinige Nachwuchs wird jeweils an weitere Familien aus der Nachbarschaft vergeben, die dann ebenfalls von dem Vorhaben profitieren.

Daysons Zukunft liegt möglicherweise ganz woanders – nämlich in der bestechend schönen Natur gleich vor der Tür. Erste Strandhotels haben sich entlang der nahen Küste bereits angesiedelt. Leute aus der dünnen Mittel- und Oberschicht von Port-au-Prince verbringen hier ihre Wochenenden. Würde sich die Sicherheitslage in Haiti stabilisieren und wäre die Infrastruktur ein Stück gefestigter – Haiti böten sich ungeahnte touristische Potenziale, sind sich viele Einheimische sicher.