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Man schaut auf ein völlig zerstörtes Haus. Die Mauern der linken Hälfte stehen zwar noch, entblößen aber das Innere des Gebäudes. Die rechte Hälfte des Hauses ist zerstört und nur noch ein Berg aus Beton und Steinen.
Vor drei Monaten kam es zu einer folgenschweren Explosion im Hafen Beiruts. Noch immer sind die Menschen auf Hilfe angewiesen, denn die Lage hat sich seitdem zugespitzt. © Plan International /Dalia Khamissy
13.11.2020 - von Anne Rütten

Explosion in Beirut: Drei Monate danach

Am 4. August 2020 zerstörte eine gewaltige Explosion weite Teile Beiruts. Auch drei Monate danach sind die Menschen dort auf internationale Unterstützung angewiesen.

Die Bilder der Explosion von rund 3.000 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut lösten einen weltweiten Schock aus. Mehr als 190 Menschen kamen dabei ums Leben. 6.500 wurden verletzt, darunter nach UNICEF-Angaben rund 1.000 Kinder. Laut offiziellen Behördenangaben wurden 80.000 Wohnungen zerstört und hunderttausende Menschen obdachlos.

Seitdem ist viel passiert: Gebäude wurden repariert, Familien zusammengeführt, medizinisch versorgt und psychologisch betreut. Plan International hatte unmittelbar nach dem Unglück mit der humanitären Hilfe vor Ort gestartet und konnte so bis dato mehr als 200 Kinder psychologisch unterstützen, die direkt von der Explosion betroffen waren. Darüber hinaus wurden mehr als 3.800 Menschen mit Nahrungsmitteln, Hygiene-Kits und lebensnotwendigen Hilfsgütern wie Binden, Windeln, Handdesinfektionsmittel, Seife und Mund-Nasen-Schutzmasken unterstützt.


Colin Lee, Länderdirektor von Plan Libanon, gibt einen aktuellen Lagebericht aus Beirut.
Colin Lee, Länderdirektor von Plan Libanon, gibt einen aktuellen Lagebericht aus Beirut

Die Lage im krisengebeutelten Libanon ist katastrophal

Auf dem Bild ist ein Gebäude aus Beton zu sehen, das komplett mit einem Gerüst eingekleidet ist.
Rund 80.000 Wohnungen wurden durch die Explosion zerstört. Auch wenn die Reparaturen begonnen haben: Viele Menschen leben immer noch bei Verwandten oder gar in Notunterkünften. © Plan International /Dalia Khamissy

Aber auch drei Monate nach der Explosion bleibt viel zu tun und der Libanon auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Denn die Explosion hat wie ein Brandbeschleuniger für die Probleme im Land gewirkt, das bereits zuvor in der schwersten politischen und wirtschaftlichen Krise seiner Geschichte gesteckt hat, und die Situation insbesondere für den ärmeren Teil der Bevölkerung verschlimmert.

Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) war bereits vor der Explosion durch die Finanz-, Wirtschafts-, und Corona-Krise fast jede:r dritte Einwohner:in des Libanons arbeitslos worden. So lebten 55 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Nach Angaben der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA) könnten durch die Folgen der Explosion mehr als 20 Prozent unter die extreme Armutsgrenze fallen. Angesichts der stark ansteigenden Inflation erhöht sich dadurch auch die Gefahr einer Hungerkrise im Libanon, denn viele Menschen können sich Lebensmittel ebenso wenig leisten wie Benzin, Strom oder andere Grundversorgungsgüter. Schon vor dem Unglück waren mehr als eine halbe Million Kinder in Beirut vom Hunger bedroht.

Covid-19: Das Gesundheitssystem ist überlastet

Ein junges Mädchen mit langen schwarzen Haaren steht an einem Fenster und lächelt leicht in die Kamera.
Plan International ist besorgt, dass Mädchen und junge Frauen in dieser Situation einem noch höheren Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sein könnten. © Plan International /Dalia Khamissy

Hinzu kommt noch das marode Gesundheitssystem, das bereits vor der Explosion und der Corona-Krise völlig überlastet war. Doch auch im Libanon steigen die Covid-19-Infektionszahlen – täglich werden durchschnittlich 1.700 neue Fälle gemeldet. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich die Zahl der Covid-19-Fälle seit der Explosion in Beirut verdoppelt. Die öffentlichen Krankenhäuser haben aktuell schon keine Kapazitäten mehr für neue Covid-19 Patient:innen. Private Krankenhäuser, die 80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Beirut ausmachen, weisen eine Belegungsrate von 85 Prozent auf. Aber selbst wenn sie dort behandelt werden könnten: Die meisten Menschen sind nicht krankenversichert und könnten sich keine Behandlung leisten.

Darüber hinaus ist durch die Zerstörung des Hafens in Beirut eine wichtige Anlaufstelle für Importe aus dem Ausland weggefallen – und daraus ein extremer Mangel an u.a. Medikamenten entstanden. Da die Regierung ihre finanzielle Beteiligung hinauszögert, rechnet die WHO für 2021 mit einer Finanzierungslücke von 11 Millionen Dollar für Behandlungen von akuten und nicht übertragbaren Krankheiten.

Der nahende Winter mit starken Regenfällen und Kälte verschärft die Lage zusätzlich. Noch immer leben viele bei Verwandten oder in unsicheren Wohnungen mit kaputten Fenstern. Plan International ist besorgt, dass Mädchen und junge Frauen in dieser Situation einem noch höheren Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sein könnten. Durch die Corona-Eindämmungsmaßnahmen, zu denen teilweise auch Ausgangssperren gehören, sind sie häufig isoliert und allein gelassen. Zudem haben sie keinen Zugang zu Verhütungsmitteln und Familienberatungsstellen, wodurch das Risiko von ungewollten (Früh-)Schwangerschaften steigt.

Hoffnung auf Schule und Normalität

Um den Kindern in Beirut wieder ein Stück Normalität geben zu können, ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass sie – soweit es die Corona-Lage zulässt – wieder den Unterricht besuchen und in der Schule ihr Netzwerk aus Mitschüler:innen, Lehrkräften und Freund:innen um sich haben. Plan International Libanon arbeitet mit dem Schulnetzwerk von Beirut zusammen, um beschädigte Schulgebäude und Klassenzimmer zu reparieren, und hat bereits 279 Pakete von Schulmaterialien für den Wiedereinstieg in die Schule bereitgestellt. Doch der Wiederaufbau der durch die Explosion beschädigten Schulgebäude wird noch bis Februar 2021 andauern. Dabei besteht immer noch eine Finanzierungslücke für mehr als 20 Privatschulen und Universitäten, die beschädigt wurden.

Zudem muss es insbesondere für die öffentlichen Schulen neue Lösungsansätze geben, denn die waren bereits vor der Explosion überfüllt. Aufgrund der Wirtschaftskrise waren mehr als 3.500 Kinder von privaten auf öffentliche Schulen gewechselt. Viele arbeiteten bereits in zwei Schichten pro Tag, um auch die aus Syrien migrierten Kinder aufnehmen und unterrichten zu können. Der Libanon hat mit 1,5 Millionen Geflüchteten aus Syrien und Palästina die höchste Pro-Kopf-Flüchtlingsbevölkerung der Welt.

Wie in vielen anderen Ländern auch, zwingt Covid-19 zum Umdenken im Bildungsbereich und verstärkt digitale Lernformen – das könnte auch die öffentlichen Schulen entlasten. So hat das Bildungsministerium beschlossen, das neue Schuljahr aus einer Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht zu gestalten. Um nicht den Anschluss zu verlieren, müssten aber alle Kinder mit elektronischen Geräten und den notwendigen Materialien ausgestattet werden. Das bereitet vielen Eltern angesichts der anhaltenden Preisinflation Schwierigkeiten.

Unterstützen Sie die Menschen in Beirut

Internationale Unterstützung wird nach wie vor dringend benötigt, um Kindern und ihren Familien zu helfen, sich von dieser Krise zu erholen und ihr Leben wieder aufzubauen. Um in Katastrophen wie diesen schnell und unbürokratisch helfen zu können, hat Plan International einen Nothilfe-Fonds eingerichtet. Hier können Sie spenden:

Plan International Deutschland e.V.

Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE 8625 1205 1000 0944 4944

BIC: BFSWDE33HAN

Stichwort: Nothilfe Beirut
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Plans Nothilfe nach der Explosion in Beirut
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