Wenn Schule Freude macht
Susanne Peupelmann aus Halsbrücke bei Dresden ist nicht das erste Mal in Indien. Die Patin war gleich zweimal innerhalb eines Jahres in Delhi, um ihr Patenkind Shivani zu besuchen. Im Frühjahr mit einer Freundin, im Herbst mit ihren Töchtern Sophie und Luise. Die Schulprojekte haben die Lehrerin besonders beeindruckt. Lesen Sie nachfolgend ihren Bericht.
Patenkindbesuch bei Shivani
Schon immer habe ich eine besondere Affinität zu Indien gehabt; dieses Land mit seinemvielfältigen kulturellen und religiösen Hintergrund, die Menschen, Gottheiten, Farben, Gerüche, Geschichten - einfach alles finde ich sehr faszinierend. In diesem Frühjahr nun nahm ich mir vor, noch einmal nach Indien zu reisen, bevor ich nach langjähriger Auszeit wieder meinen Arbeitsalltag im Schuldienst antreten sollte. Der Besuch bei meinem neunjährigen Patenkind Shivani, welches wir seit vier Jahren unterstützen, war auf den 6. April angesetzt.
Einsichten bei einer Tasse Chai
Gemeinsam mit meiner Freundin Kerstin wurden wir am Morgen in Delhi von Monila, einer Mitarbeiterin von Plan in Delhi und einem Fahrer in unserem Hotel abgeholt und in das Plan-Büro gebracht. Monila erläuterte uns bei einer Tasse Chai das Anliegen von Plan und die verschiedenen Projekte, die ihre Organisation speziell in diesem Bezirk unternommen hat. Sie machten die enorme Wichtigkeit der vielen Sponsoren deutlich und ebenso die Entwicklungsstufen der einzelnen Prozesse. Alle Neuerungen sind prozessbedingt. Zum Beispiel Arbeit und Gespräche mit Vätern, um sie für die Notwendigkeit der Bildung ihrer Kinder, speziell auch ihrer Töchter, zu öffnen. Nicht immer und sofort gibt es Erfolge. Monila erläuterte uns die Schwierigkeiten und zeigte verschiedenen Ansätze, die zum Ziel führen bzw. führen sollen. Besonders beeindruckend war für mich das Ziel des sich Verselbstständigens. Der Anstoß kommt von Plan, aber mit der Zeit müssen und sollen sich Angebote und Projekte verselbstständigen und ohne Hilfe von Plan funktionieren.
Alle werden integriert
Bei unseren anschließenden Projektbesuchen konnten wir dies selbst erleben. So besuchten wir eine Integrationsstätte für vor allem sprach- und hörgeschädigte Kinder und Jugendliche. Diese Kinder sind doppelt benachteiligt: Auf Grund ihrer Behinderung gehören sie zur untersten Stute der Gesellschaft und haben eigentlich keine Chancen für die Zukunft. Zusätzlich stellen sie für kinderreiche Familien, die ohnehin überlastet sind, eine nicht zu lösende Herausforderung dar. Denn für Behinderungen dieser Art wird eine sehr spezielle und fachlich kompetente pädagogische Hilfe benötigt. Im Normalfall gehen Kinder mit Behinderungen einfach unter, keiner kümmert sich wirklich um sie. Hier in dieser Integrationsstätte bekommen sie Unterstützung, Anleitung zum Leben und, wenn man so will, ein zweites (oder gar erstes) Zuhause. Wir konnten sie in einer entspannten und friedvollen Atmosphäre beim Trainieren motorischer Fertigkeiten beobachten. Ihre Freude am Gelingen ihrer Arbeiten war augenscheinlich und zutiefst berührend.
Schulalltag in Indien und in Deutschland
Anschließend besuchten wir verschiedene Schulprojekte. Wenn ich diese jungen neugierigen Menschen sehe – in kleinen, oft zur Straße hin offenen Räumen sitzend - und ihre gewaltige Freude am Lernen, Musizieren und Spielen, vergleiche ich unwillkürlich mit unserem Schulalltag in Deutschland. Wie selbstverständlich sind für uns alle Errungenschaften in diesem Bereich. Die Lust am Lernen, die bei uns manchmal muffig in den Klassenzimmern versauert, ist hier greifbar und voller Kraftpotential. Dazu kommt eine ungeheure Dankbarkeit. In einer Schule konnte auf Wunsch der Kinder eine Bibliothek eingerichtet werden. Die Räumlichkeiten hierzu mussten von der Schule zur Verfugung gestellt werden und die Bücher organisierte Plan.
Fürsprache bei den Eltern
Außerdem erfuhren wir von einem Kinder- und Jugendparlament. Hier werden Kinder und Jugendliche geschult und motiviert, ihre Rechte in der Gesellschaft wahrzunehmen, sie überhaupt erst einmal kennenzulernen und einzufordern. Monila schilderte uns einzelne Beispiele, wo unter anderem Kinder für ihre Freundin bei deren Eltern das Recht zum Besuch einer Schule einforderten. Ich finde das beeindruckend und faszinierend, da hier wirklich ein Wandel in der traditionellen indischen Familiengeschichte zu erleben ist.
Erste Begegnung mit Shivani
Nachdem wir Shivanis Schule - eine staatliche Schule - und ebenso ihre Klasse und ihre Lehrerin kennengelernt hatten, fuhren wir zur Familie nach Hause. Shivani erwartete uns bereits und ich erkannte sie sofort, als unser Auto vor einer belebten Gasse hielt und parkte: Am Ende der Gasse schaute uns ein neugieriges, gespanntes Mädchen mit Ihren großen Augen entgegen, um unmittelbar danach die wenigen Stufen zu ihrem kleinen Haus hinaufzuflitzen und der Mutter von unserem Kommen zu berichten.
Die ganze Familie versammelt
Es war ein sehr herzliches und würdevolles Begrüßen. Wir bekamen von der Mutter Blumenketten um den Hals gelegt und ein Tikka auf die Stirn gemalt. Mit einem „Namaskar!" wurden wir willkommen geheißen und ins Haus gebeten. Hier spielte sich das Treffen in dem ersten und winzigen Raum gleich kurz nach dem Eingang ab; der Raum, in dem gleichzeitig gewohnt, geschlafen und gegessen wird. Wir bekamen Chai und Kekse angeboten. Die Familie, Shivani, die Mutter und Geschwister, waren alle bis auf den Vater versammelt. Gemeinsam kamen wir ins Gespräch. Die beiden Frauen von Plan (zu Monila war noch die spezielle Betreuerin von Shivani und ihrer Familie dazugekommen) mussten viel übersetzen. Obwohl Shivani, die jetzt neun Jahre alt ist, in der Schule Englisch lernt, beherrschte sie die Sprache kaum. Aber ihre großen, dunklen Augen schauten wach und sie entwickelte immer mehr Vertrauen.
Lebendiger Austausch trotz kurzem Besuch
Natürlich kann man bei solch einem Kurzbesuch von etwa zwei Stunden das Kind und die gesamte Familie nur flüchtig kennenlernen. Aber für mich war es wieder eine sehr gute Erfahrung und auch Begegnung. Ich bin sehr froh und glücklich, diese Gelegenheit wahrgenommen zu haben. Auch für die Familie war es beeindruckend, den Paten wirklich einmal kennenzulernen - für sie bestimmt eine besondere Ehrerweisung. Es hatte insgesamt etwas Lebendiges, sehr Reales. Und Shivani hat mir sehr gut gefallen. Sie ist eine Hübsche und ziemlich Aufgeweckte! Wir wünschen uns für ihre weitere Entwicklung vor allem jene Unbeschwertheit, mit der unsere Kinder in Deutschland aufwachsen, und mit der man Vertrauen und Kraft in die eigenen Fähigkeiten gewinnt.
Große Gelassenheit
Ich fühle mich in Indien sehr gut auf- und angenommen. Wenn irgendetwas nicht so funktioniert wie geplant, wenn man mal nicht weiter weiß, wenn man eigentlich Hilfe braucht – dann kommt jemand oder es passiert etwas - und es findet sich eine Lösung. Man muss nicht für alles eine Lösung parat haben. Ich habe mich immer auf die Menschen verlassen können, denn oft erlebten wir Hilfe, ohne dass wir sie eingefordert hatten. Abschließend lässt sich nur sagen, dass mir das Land und seine Leute wieder einmal sehr nahe gekommen sind.