Wenn Mädchen führen
Als ihre Lehrerin an einem sonnigen Morgen in La Libertad, El Salvador, die Namen für ein neues Schulprojekt vorliest, ahnt die damals elfjährige Yoselin noch nicht, dass sich ihr Leben verändern wird. Heute, fünf Jahre später, ist Yoselin sechzehn und sieht sich selbst als Führungskraft – eine junge Frau, die andere dazu ermutigt, ihre Stimme zu erheben und Verantwortung zu übernehmen.
Frühe Erfahrungen mit Verantwortung
Yoselins Weg begann in der fünften Klasse, als an ihrer Schule ein Projekt zur Förderung von Kinderrechten vorgestellt wurde. Sie wurde Teil einer Gruppe, die sich mit Themen wie Gleichberechtigung, Kommunikation und Partizipation beschäftigte. „Ich sorge dafür, dass Kinder und Jugendliche einbezogen werden und dass ihre Stimmen gehört werden, nicht nur zu Hause oder in der Schule, sondern auch in meiner Gemeinde“, sagt sie.
Durch die Teilnahme an Workshops, Treffen und Austauschformaten lernte sie Schritt für Schritt, wie Engagement funktioniert. Sie erhielt Wissen über Kinderrechte, Menstruationshygiene, Gewaltprävention und soziale Gleichstellung. Themen, die in vielen Gemeinden El Salvadors nach wie vor sensibel sind. Die Programme gaben ihr nicht nur fachliches Wissen, sondern auch das Vertrauen, selbst aktiv zu werden.
Bildung als Grundlage für Mitbestimmung
Einen wichtigen Einfluss hatte das Programm „Champions of Change“, das von Plan International entwickelt wurde. Es richtet sich an Mädchen und Jungen, die sich mit Geschlechterrollen auseinandersetzen und Gleichberechtigung in ihrem Umfeld fördern möchten. „Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, zuzuhören und andere einzubeziehen“, erzählt Yoselin.
Später beteiligte sie sich an der National Girls’ Movement, einem Netzwerk von Mädchen aus unterschiedlichen Regionen des Landes. In regelmäßigen Treffen sprechen sie über Themen wie Gewalt gegen Frauen, Teenagerschwangerschaften, Mobbing und Straßenbelästigung. „Wir sind eine Gruppe von Mädchen, die über Themen spricht, die uns wichtig sind – und wir wollen mehr Mädchen ermutigen, sich uns anzuschließen“, erklärt Yoselin.
„Als Ministerin des Nationalen Schülerrats durfte ich mit dem Bildungsminister arbeiten und über Themen sprechen, die Jugendliche direkt betreffen.“
Solche Initiativen fördern Austausch, Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Probleme gemeinsam zu analysieren. Für Yoselin sind sie ein entscheidender Schritt, um langfristig gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Ein Tag als Ministerin
Besonders eindrücklich war für sie die Teilnahme am „Girls Takeover“-Programm, das Plan International jedes Jahr im Oktober zum Internationalen Mädchentag organisiert. Dabei übernehmen Mädchen für einen Tag Führungsrollen in Politik, Wirtschaft oder Medien, um auf die Bedeutung weiblicher Teilhabe aufmerksam zu machen.
Die Erfahrung hat ihr gezeigt, wie Entscheidungsprozesse funktionieren und wie wichtig es ist, dass junge Menschen dort Gehör finden, wo politische Verantwortung getragen wird.
Aufwachsen im Kontext von Herausforderungen
El Salvador steht seit Jahren vor sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die besonders Kinder und Jugendliche betreffen. Hohe Armutsraten, ungleicher Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie Gewalt in vielen Gemeinden prägen das tägliche Leben.
In ländlichen Gebieten müssen viele Kinder lange Schulwege auf sich nehmen, und nicht selten verlassen Jugendliche die Schule vorzeitig, um ihre Familien zu unterstützen. Mädchen sind zusätzlich von geschlechtsspezifischer Gewalt und früher Mutterschaft betroffen. Auch Migration spielt eine große Rolle: Viele Familien sind durch Auswanderung getrennt, was soziale Netzwerke schwächt.
Gleichzeitig entstehen im Land zunehmend lokale Initiativen, die auf Beteiligung und Dialog setzen. Plan International arbeitet dabei partnerschaftlich mit Gemeinden, Schulen und Jugendgruppen zusammen, um sichere Räume zu schaffen, in denen Kinder sich äußern, austauschen und selbst mitgestalten können.
Verantwortung und Teilhabe fördern
Für Yoselin sind diese Räume entscheidend. Sie geben ihr und anderen Jugendlichen die Möglichkeit, sich zu organisieren, eigene Ideen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. „Ich möchte mehr junge Menschen ermutigen, sich zu engagieren und zu organisieren, um Veränderungen in unserem Land, in ihren Gemeinden und Schulen zu erreichen“, sagt sie.
Heute ist Yoselin Mitglied der Joining Forces Alliance, einer globalen Initiative, die verschiedene Kinderrechtsorganisationen vereint. In El Salvador konzentriert sich die Allianz darauf, Gewalt gegen Kinder zu verhindern und Beteiligungsmöglichkeiten zu fördern. Die Arbeit basiert auf Partnerschaft: lokale Stimmen stehen im Mittelpunkt, externe Unterstützung dient vor allem dazu, Strukturen zu stärken und Nachhaltigkeit zu sichern.
„Je mehr wir als Gruppe wissen, desto stärker werden wir“, fasst Yoselin zusammen. Für sie bedeutet Führung, gemeinsam zu handeln – nicht im Alleingang, sondern als Teil einer Bewegung.
Eine Generation, die sich einmischt
Yoselins Geschichte steht für eine Generation junger Menschen in El Salvador, die ihre Zukunft aktiv mitgestaltet. Ihr Engagement zeigt, dass Veränderung aus der Gemeinschaft selbst entsteht – durch Menschen, die sich gegenseitig stärken und Verantwortung füreinander übernehmen.
In vielen Orten entstehen Initiativen, die Bildung, Dialog und Selbstvertrauen fördern. Sie öffnen Räume, in denen Kinder und Jugendliche ihre Perspektiven einbringen und ihre Rechte einfordern können. Diese Bewegungen verändern nicht nur den Alltag vor Ort, sondern auch das Verständnis davon, was gesellschaftliche Teilhabe bedeutet. Yoselin sagt es klar: „Ich möchte, dass Kinder und Jugendliche ihre Meinung sagen dürfen – und dass man ihnen zuhört.“
Die Geschichte von Yoselin wurde mit Material aus salvadorianischen Plan-Büro aufgeschrieben.