Traditionelle Strukturen, moderne Werte
Seit Jahrhunderten fungieren die sogenannten „Alangizi“ (Wegweiserinnen) in Sambia als traditionelle Beraterinnen und Mentorinnen. Die meist älteren, von der Gemeinschaft ausgewählten Frauen bereiten heranwachsende Mädchen auf die Ehe vor und vermitteln ihnen kulturelle Werte, Respekt sowie soziales Verhalten. Auch Themen wie Sexualität, Fortpflanzung, Gesundheit und die gesellschaftliche Rollenverteilung werden besprochen. Kurzum: Sie bringen der nächsten Generation bei, was es in ihrer jeweiligen Kultur bedeutet, eine Frau zu sein. Der Unterricht markiert damit für die Mädchen den Übergang vom Kindesalter ins Erwachsensein.
Doch lange Zeit waren die Lektionen der Alangizi von einem Frauenbild geprägt, das den Mädchen mehr schadete als nützte. Traditionelle Geschlechternormen fordern in Sambia die weibliche Unterordnung gegenüber den Männern. Strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung führen dazu, dass Gewalt gegen Mädchen und Frauen meist ungestraft bleibt und dass Mädchen häufig die Schule abbrechen, weil sie früh verheiratet oder schwanger werden. Somit sinken ihre Chancen auf wirtschaftliche Unabhängigkeit und ein selbstbestimmtes Leben drastisch.
„Wir haben erkannt, dass Tradition zwar wichtig ist, einige Lehren jedoch geändert werden mussten. Jetzt konzentrieren wir uns auf das, was die Kinder in ihrer Entwicklung und Selbstbestimmtheit unterstützt.“
Die Alangizi: Motor für gesellschaftlichen Wandel
Während die Alangizi durch ihren starken Einfluss innerhalb der Gemeinschaften den Fortbestand dieser Konventionen früher begünstigt haben, definieren sie heute ihre Aufgabe neu – und erweitern ihren Unterricht um Lektionen zu Selbstfürsorge, Chancengleichheit und Kinderrechten. Den Anstoß dazu gab ein Projekt von Plan International, das in der Zentralprovinz Sambias durchgeführt wurde, um zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern und eine sichere Umgebung für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
In Chibombo, einem von elf Distrikten in der Zentralprovinz und Heimat des Lukanga-Sumpfes, der seit Hunderten von Jahren die Lebensgrundlage für die indigene Bevölkerung schafft, sind die positiven Veränderungen, die das Projekt angestoßen hat, inzwischen deutlich sichtbar. „Wir haben erkannt, dass Tradition zwar wichtig ist, einige Lehren jedoch geändert werden mussten. Wir haben unseren Lehrplan überarbeitet, um uns auf das zu konzentrieren, was den Kindern wirklich guttut und sie in ihrer Entwicklung und Selbstbestimmtheit unterstützt“, erzählt eine der Alangizi-Frauen.
Bewährte Kanäle, neues Wissen
Bevor sie eine Sitzung abhalten, prüfen sie das Alter der teilnehmenden Kinder und passen den Unterricht entsprechend an. Mädchen wird nun nicht mehr beigebracht, wie sie einen Mann an sich binden können, sondern wie sie sich selbst versorgen können, wenn sie in die Pubertät kommen. Themen, die früher tabu waren, stehen nun im Mittelpunkt der Gespräche – etwa die Gleichstellung der Geschlechter. Auch die Eltern werden ermutigt, am Unterricht der Alangizi teilzunehmen und dadurch aus erster Hand zu sehen, was ihre Kinder lernen. Das baut Vertrauen auf und stärkt die familiäre Bindung. Außerdem können die Mütter und Väter so erfahren, wie sie ihre Töchter und Söhne besser fördern und unterstützen können.
Auch die Ehevorbereitung hat sich verändert. In Übereinstimmung mit dem sambischen Gesetz arbeiten die Alangizi jetzt nur noch mit Paaren, die das seit Dezember 2023 vorgeschriebene Heiratsalter von 18 Jahren erreicht haben. Diese Paare erhalten neben praktischen Ratschlägen zu Familienplanung nun zusätzlich Schulungen für respektvolles Zusammenleben und friedliche Konfliktlösung. „Wir sagen den jungen Frauen, dass es in Ordnung ist, eine gewalttätige Ehe zu verlassen“, erklären die Alangizi. „Das hätten wir früher niemals gesagt.“ So schützen sie in erster Linie die Frauen vor häuslicher Gewalt und zu frühen Schwangerschaften.
Teenagerschwangerschaften sind in Sambia nach wie vor stark verbreitet. Trotz zivilgesellschaftlicher und rechtlicher Maßnahmen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Jugendlichen werden laut Zahlen der Vereinten Nationen 29 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren schwanger. In ländlichen Räumen liegt der Anteil sogar bei bis zu 37 Prozent. Durch eine frühe Schwangerschaft entstehen für die jungen Mütter nicht nur gesundheitliche Risiken – sie verfestigt auch Armutskreisläufe, Bildungsmangel und soziale Ungerechtigkeit.
Kinderschutz in den Gemeinden verankert
Die Alangizi helfen nun mit, genau das zu ändern. Und haben zusätzlich zu ihrer Aufklärungsarbeit noch eine neue Verantwortung übernommen: den Schutz ihrer Gemeinden. Sie arbeiten eng mit der sambischen Polizei sowie den Beamten für Kriminalprävention zusammen. Als Vertrauenspersonen für die Menschen in den ländlichen Dörfern bilden sie die Brücke zwischen kultureller Tradition und Gesetz.
Allerdings trifft ihre Arbeit nicht ausschließlich auf Zustimmung. Einige Männer und Frauen sehen den Veränderungen skeptisch entgegen und wollen, dass die alten Traditionen bestehen bleiben. Doch die Alangizi bleiben standhaft. „Vereinzelte Kritik wird uns nicht davon abhalten, Kindern hilfreiches Wissen zu vermitteln. Wir werden die Mädchen und Jungen weiterhin schützen und dafür sorgen, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die ihre Rechte verletzen“, sagen sie.
Obwohl die Alangizi traditionell ausschließlich Frauen sind und auch früher nur Mädchen unterrichtet haben, werden in einigen Plan-Projekten und Schulungen zunehmend auch Männer und Jungen eingebunden. Dadurch erreicht das vermittelte Wissen die breite Bevölkerung, was den gesellschaftlichen Wandel begünstigt und die Wirkung der Aufklärung verstärkt. Das Engagement der Alangizi zeigt, dass Kultur wandelbar ist und sich Gemeinschaften zum Besseren verändern können – wenn Tradition und Moderne nicht als Gegensätze betrachtet werden, sondern in Einklang miteinander stehen.
Die Geschichte wurde mit Material aus dem sambischen Plan-Büro erstellt.