
Nach dem Sturm
„Als älteste Tochter habe ich das Privileg, meine Familie zu unterstützen“, sagt Anahi. Sie ist 16 Jahre alt, lebt in Guatemala und trägt bereits viel Verantwortung: Nach der Schule hilft sie im Laden ihrer Mutter, treibt Sport und kümmert sich um ihre Geschwister. Ein Alltag, wie er für viele Mädchen in dem zentralamerikanischen Land ganz normal ist.
Doch 2024 zerstörte ein Sturm alles, was sie kannte. Regen wurde zu reißenden Fluten, Häuser und Straßen wurden überschwemmt – auch Anahis Zuhause. Die Familie floh, unsicher, ob sie jemals würde zurückkehren können. „Zu sehen, wie unser Haus unter Wasser stand, war wirklich schmerzhaft. Es war nicht mehr unser Zuhause“, erinnert sich Anahi.
Trotz allem gab ihre Familie nicht auf. Gemeinsam mit ihrer Mutter baute sie den Familienladen wieder auf und schloss das Schuljahr erfolgreich ab. „Meine Mutter hat uns Kraft gegeben“, sagt sie. „Ich habe gelernt, mutig zu sein, Charakter zu zeigen und keine Angst zu haben.“


Guatemala zwischen Resilienz und Verwundbarkeit
Was Anahi erlebt hat, ist kein Einzelfall. Guatemala gehört zu den Ländern, die besonders stark unter den Folgen des Klimawandels leiden. Allein im Jahr 2023 verloren dort rund 41.000 Menschen durch Naturkatastrophen ihr Zuhause – fast alle durch einen einzigen Sturm im Mai. Besonders in ländlichen Regionen fehlt es an stabiler Infrastruktur. Ein Unwetter reicht, um das Leben von Tausenden auf den Kopf zu stellen.
Doch nicht nur die Natur, auch gesellschaftliche Strukturen erschweren das Leben, vor allem für Mädchen. Frühe Schwangerschaften sind weit verbreitet: Zwischen 2018 und 2024 wurden fast 15.000 Geburten bei Mädchen unter 15 Jahren registriert, allein 2024 waren es fast 2.000. Hinter diesen Zahlen stehen Mädchen, deren Zukunftschancen abrupt enden. Viele brechen die Schule ab, weil Gewalt, Tabus oder fehlender Schutz sie daran hindern. Gleichzeitig bleiben Tausende Anzeigen wegen sexualisierter Gewalt ohne Konsequenzen. „Meine Jugend brachte viele Konflikte mit sich: Ich musste mich selbst erst kennenlernen, aber mir wurde beigebracht, dass wir als Mädchen bestimmte Dinge nicht tun sollten – nur weil wir Mädchen sind“, bringt es Anahi auf den Punkt.

„Zum ersten Mal konnte ich über Themen sprechen, die sonst tabu sind.“
Eigene Wege entwickeln
Die Überschwemmungen haben Anahis Einstellung und Charakter stark geprägt. Unter anderem hat sie erkannt, wie glücklich es sie macht, anderen Mädchen und jungen Menschen zu helfen. Als Plan International an ihrer Schule Kurse zum Thema Jugendbeteiligung anbot, zögerte sie nicht lange und nahm daran teil. Die Kurse der Kinderrechtsorganisation sind Teil eines Programms, das Jugendlichen in Schulen und Gemeinden Workshops zu Menstruationsgesundheit, Chancengleichheit, Selbstbewusstsein und Führungskompetenzen anbietet. Ziel ist, dass Mädchen und Jungen ihre Rechte kennenlernen und sich selbstbewusst für Veränderungen einsetzen können. Anahi betont: „Ich habe gelernt, dass meine Stimme zählt.“
Anahi blieb aber nicht nur bei Worten. Inspiriert durch die Workshops entwickelte sie gemeinsam mit ihrer Mutter ein Projekt: Im Laden der Familie gibt es nun Menstruationsprodukte – zu erschwinglichen Preisen, manchmal sogar gratis. Wenn ein Mädchen kommt, das sich die Produkte sonst nicht leisten könnte, gibt Anahi sie manchmal kostenlos aus. „Plan hat uns den Raum gegeben, über das Thema nachzudenken. Aber die Entscheidung und Umsetzung waren unsere eigenen“, erklärt sie stolz. Für viele Mädchen sind die Hygieneartikel viel mehr als Produkte: Sie geben ihnen ein Stück Selbstbestimmung zurück.
Hoffnung, die weiterträgt
Heute blickt Anahi selbstbewusst nach vorn. „Ich bin stolz darauf, dass ich die Herausforderungen gemeistert habe“, sagt sie. Die Flut hat Spuren hinterlassen, doch sie hat daraus neue Stärke entwickelt. Heute teilt sie ihre Erfahrungen mit anderen Jugendlichen, ermutigt sie, eigene Entscheidungen zu treffen, und zeigt, dass man auch nach einer Krise aktiv seinen Weg gestalten kann.
Die Geschichte von Anahi wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Guatemala aufgeschrieben.
