
Die Ökonomie des Miteinanders
Ein Morgen in Bono East, Ghana. Roter Staub liegt über den Feldern, die Sonne wirft lange Schatten zwischen den Cashew-Bäumen. Anna geht langsam die Reihen ab und prüft die jungen Pflanzen. Noch vor wenigen Jahren wäre es für die 38-Jährige undenkbar gewesen, eine eigene Plantage zu besitzen. Entscheidungen über das Geld, das sie selbst verdiente, lagen außerhalb ihrer Kontrolle; sie hatte kaum Mitspracherecht, weder in der Familie noch in der Gemeinde. Heute ist Anna Landwirtin, Gemeindevorsteherin und Sekretärin einer Frauenspargruppe – eine Rolle, die ihr nicht nur Verantwortung gibt, sondern auch andere Frauen ermutigt.

Hürden und Möglichkeiten
In ländlichen Regionen wie Bono East tragen Frauen seit Generationen eine doppelte Last. Sie bewirtschaften Felder, versorgen Kinder, Haushalt und Angehörige – Tätigkeiten, die unsichtbar bleiben und unbezahlt sind. Gleichzeitig werden sie häufig von Entscheidungen ausgeschlossen, sei es in der Familie oder in den Dorfräten. Eigentumstitel sind selten auf ihre Namen ausgestellt, Kredite kaum zugänglich. So bleibt ökonomische Unabhängigkeit für viele in weiter Ferne.
Um diese Strukturen aufzubrechen, wurde das Projekt „Women’s Voice and Leadership“ (Stimme und Führungskraft von Frauen) gestartet. Es wird von Plan International zusammen mit lokalen Partnern und Behörden umgesetzt. Ziel ist es, Frauen und Mädchen in ländlichen Gebieten durch Trainings, Finanzierungshilfen und Netzwerke zu stärken – aufbauend auf Initiativen innerhalb der Gemeinden.


Kernstück des Projekts sind die Frauenspargruppen. Hier bringen Frauen regelmäßig kleine Beträge ein, die als gemeinsamer Fonds dienen. Aus diesen Ersparnissen können Kredite vergeben werden, mit denen sich Schulgebühren finanzieren, kleine Betriebe starten oder landwirtschaftliche Investitionen tätigen lassen. Doch die Gruppen sind auch Räume des Austauschs, in denen Frauen Erfahrungen teilen, sich gegenseitig beraten und gemeinsam Lösungen für alltägliche Herausforderungen entwickeln können. In diesen Kreisen wachsen Vertrauen, Selbstvertrauen und das Wissen, dass jede einzelne Stimme zählt. Die Spargruppen werden so zu Plattformen, die den Frauen nicht nur ökonomische Fähigkeiten und Führungskompetenzen vermitteln, sondern die auch ihre aktive Rolle in der Gemeinschaft stärken.
„Früher fühlte ich mich allein. Jetzt unterstützen wir uns gegenseitig, nicht nur mit Geld, sondern auch mit Wissen und Kraft.“
Annas neuer Weg
Für Anna war der Beitritt ein Wendepunkt. Heute ist sie Sekretärin ihrer Spargruppe; eine Rolle, die ihr Selbstvertrauen gibt und ihre Stimme hörbar macht. Mit einem Kredit finanzierte sie die Ausbildung ihres Kindes und legte eine drei Hektar große Cashew-Farm an. Die ökonomische Unabhängigkeit war erst der Anfang. Frauen wie Anna übernehmen Führungsrollen, gestalten ihre Gemeinden mit und fordern Beteiligung ein.
Die Wirkung bleibt nicht auf die Frauengruppen beschränkt. Angeregt durch deren Erfolge gründeten auch Männer Spargruppen. Das führte unter anderem zu einem Rückgang häuslicher Gewalt und zu einem Umdenken in den Geschlechterrollen. Immer mehr Männer beteiligen sich inzwischen an der Hausarbeit und unterstützen die Ziele ihrer Partnerinnen.


Wissen als zweites Kapital
Neben den Spargruppen bietet das Projekt praxisnahe Schulungen: etwa zur Seifenherstellung, Kompostierung oder Produktion von Düngemitteln und Pestiziden. Dieses Wissen hilft, Kosten zu senken und unabhängiger zu werden. Es stärkt die wirtschaftliche Basis einzelner Familien und macht ganze Gemeinden widerstandsfähiger.
Durch das Projekt entstanden inzwischen zehn Spargruppen in vier Distrikten mit über 900 Mitgliedern. Jede Gruppe zeigt, wie kollektives Handeln Strukturen verändert. „Wir leisten nicht mehr nur unbezahlte Pflegearbeit“, sagt Anna. „Wir bauen Unternehmen auf, leiten Gruppen und verschaffen uns Gehör.“
Ein beständiger Wandel
Die Veränderungen in Bono East geschehen Schritt für Schritt. Die Gemeinschaften passen sich an und entwickeln neue Formen des Zusammenlebens.
Für Anna bedeutet das ein Stück Land, das sie selbst bewirtschaftet. Für andere Frauen eröffnen sich neue Möglichkeiten in Bildung, Finanzierung oder praktischem Wissen. Zusammen zeigen sie, wie Frauen durch eigene Initiative Veränderungen in ihrem Alltag und in ihren Gemeinden vorantreiben.
Die Geschichte von Anna wurde mit Material aus dem ghanaischen Plan-Büro aufgeschrieben.