
Den Motor des Wandels anschmeißen
„Ich habe Motorräder schon immer geliebt“, sagt Claudia begeistert. Die 24-Jährige steht in Arbeitsjacke und mit zurückgebundenen Haaren, ausgerüstet mit Schutzbrille und Arbeitshandschuhen in der bescheidenen Werkstatt ihres Onkels und schraubt an einem Motorrad. Sie ist voll und ganz in ihrem Element. Ölwechsel, Reifenwechsel, Ketten einstellen – all das läuft bei ihr heute wie geschmiert. Der Weg dahin war allerdings nicht hürdenfrei.


Ein neuer Antrieb nach einem herben Rückschlag
Claudia wuchs in Jalapa im Süden Guatemalas auf. Mit Plan International ist sie als ehemaliges Patenkind seit ihrem ersten Lebensjahr verbunden. Ihre Mutter hatte sie damals für das Patenschaftsprogramm angemeldet, weil sie wollte, dass ihre Tochter Unterstützung bekommt, um ihre Träume zu erreichen und ihr Leben selbst zu gestalten.
Doch als ihre Mutter starb, warf das Claudia schlagartig zurück. Das Mädchen verfiel in Depressionen und konnte sich kaum noch zu etwas aufraffen. „Ich wollte nichts tun, nur noch schlafen“, erinnert sie sich betrübt. Als sie aber sah, wie ihre Schwestern begannen, sich eine Zukunft aufzubauen, gab ihr das neuen Antrieb.
Sie schrieb sich an der Universität ein und bereitete sich auf ihr Examen vor. Da hörte sie von einem Kurs für Motorradmechanik, den Plan International in ihrer Region anbot.
Das war für sie ein Zeichen, dass es an der Zeit war, weiterzumachen und etwas Neues zu lernen. Schon allein, weil ihre Mutter sie immer dazu ermutigt hatte, im Leben voranzukommen. „Ich wollte lernen, wie man das Öl wechselt, die Antriebskette justiert und die Bremsen kontrolliert, damit ich das selbst machen kann.“
In der Kurswerkstatt traf Claudia dann auf viele andere junge Frauen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten. Vom ersten Tag an wusste sie, dass diese Ausbildung eine einzigartige Erfahrung sein würde. „Ich fühlte mich richtig motiviert, weil das Training etwas völlig Neues für mich war“, sagt sie begeistert.
„Wenn mir jemand sagt, dass ich etwas nicht kann, spornt mich das nur noch mehr an. Jedes ‚Nein‘ ist wie Treibstoff für meinen Motor.“

Übung macht den Meister
Anfangs fielen Claudia einige Arbeiten wie das Reifenwechseln schwer. „Aber ich habe nicht aufgegeben“, betont sie stolz. „Ich habe so lange geübt, bis ich es richtig gemacht habe.“ Nach und nach lernte sie, wie sie mit dem Werkzeug umgehen muss, welcher Schraubenschlüssel zu welchem Teil passt und wie man die Bremsbeläge wechselt – Fähigkeiten, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie diese einmal beherrschen würde. Inzwischen sind sie zur Routine geworden.
Ihr engster Kreis, insbesondere ihre Brüder, unterstützten die angehende Mechanikerin von Anfang an. Außerhalb ihres Familien- und Freundeskreises wurde ihre Entscheidung jedoch oft belächelt. Sie musste sich anhören, dass Mechanik kein Bereich für Frauen sei und sie diesen Beruf nicht weiterverfolgen solle.
Aber das ließ sich Claudia nicht so einfach gefallen. „Wenn mir jemand sagt, dass ich etwas nicht kann, spornt mich das nur noch mehr an, weiterzumachen“, sagt sie entschlossen. „Jedes ‚Nein‘ ist wie Treibstoff für meinen Motor. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich alles erreichen kann, was ich mir vornehme. Und auch wenn sie nicht mehr da ist, begleiten mich ihre Worte jeden Tag.“
Ein von Krisen gebeuteltes Land
Claudias Heimatland ist von atemberaubender Landschaft geprägt – von Bergregenwald und Hochland bis hin zur schillernden Pazifikküste. Guatemala ist außerdem die Heimat der alten Maya-Zivilisation und deshalb auch jährlich Pilgerstätte für zahlreiche Tourist:innen. Gleichzeitig ist das lateinamerikanische Land eines der ärmsten weltweit, mit einer der ungleichsten Vermögensverteilungen.
Besonders hart treffen Hunger und Armut die ländliche und indigene Bevölkerung. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie das Land selbst: Eine hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft, wachsende Bedrohungen durch den Klimawandel, steigende Umweltverschmutzung und Abholzung der Wälder, Bildungsungleichheit, Korruption und kriminelle Banden – um nur einige zu nennen.

„Das Geschlecht spielt keine Rolle – Entschlossenheit aber schon.“
Knapp 60 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der nationalen Armutsgrenze und zahlreiche Kinder leiden unter chronischer Mangelernährung, wie es eine kürzlich veröffentlichte Studie des Ministeriums für soziale Entwicklung (Mides) bestätigt. Besonders in den Bereichen menschenwürdige Arbeit und Bildung gebe es massive Mängel. Um der Armut und Perspektivlosigkeit zu entkommen, migrieren jährlich Zehntausende in Richtung Mexiko und USA.

Das Ziel immer im Blick
Doch Migration kam für Claudia nicht in Frage. Sie hatte sich vorgenommen, für ihre Überzeugungen an Ort und Stelle zu kämpfen und kontinuierlich Veränderungen in ihrer Gemeinde voranzutreiben. Derzeit hilft sie ihrem Onkel in seiner Werkstatt und nutzt dabei die erlernten Fähigkeiten.
Ihr Ziel hat sie aber weiterhin fest im Blick: Sie will ihr eigenes Unternehmen gründen. „Ich möchte alles, was ein Motorrad braucht, verkaufen. Ersatzteile, Öl, Reifen und so weiter“, sagt sie. „Und ja, ich möchte auch Möglichkeiten für andere Frauen schaffen.“
Der Mechanikkurs von Plan International hat nicht nur Claudia geholfen. Viele junge Frauen in ihrer Gemeinde wissen jetzt, dass sie mehr Möglichkeiten haben als das, was früher durch Stereotypen vorgegeben war. Auch wenn dadurch Probleme wie Diskriminierung gegenüber Frauen und Sexismus nicht einfach so verschwinden – Projekte wie das der Kinderrechtsorganisation machen einen Unterschied. „Sie helfen uns zu beweisen, dass wir es schaffen können; dass das Geschlecht keine Rolle spielt – Entschlossenheit aber schon“, schließt Claudia zuversichtlich.
Die Geschichte von Claudia wurde mit Material aus dem guatemaltekischen Plan-Büro erstellt.