
Friedensräume im Land der Kriegsverbrechen
Das rhythmische Geräusch von hölzernen Keilen, mit denen Frauen in großen Schalen Maniok für das Mittagessen verarbeiten, mischt sich mit den leisen Stimmen ihrer Gespräche. Daneben ist verhaltenes Gelächter zu vernehmen – für einige von ihnen ist das eine neue Erfahrung. In dem einst von blutigen Konflikten gezeichneten Bezirk Todee gibt es wieder ein friedvolles Miteinander. Der positive Lebenswandel hat auch mit einem Raum zu tun, der in der Gemeinde kürzlich entstanden ist und heute eröffnet wird.
Zwischen 1989 und 2003 kam es in Liberia zu zwei Bürgerkriegen, bei denen von allen Konfliktparteien Kinder als Soldaten missbraucht wurden. Mindestens 150.000 Menschen kamen in dem westafrikanischen Land ums Leben, auch durch Gräueltaten wie Kannibalismus sowie sogenannte „Ritualmorde“. Etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung wurde zudem gewaltsam vertrieben.
In Todee, nördlich der liberianischen Hauptstadt Monrovia, bietet der neu geschaffene Raum den Gemeindemitgliedern nun erstmals wieder einen sicheren Ort. In der „Friedenshütte“, wie ihn die meisten hier nennen, können insbesondere Frauen Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt diskutieren und sich an friedensfördernden Aktivitäten beteiligen.



„Dieser Ort gibt uns ein Gefühl der Sicherheit.“
Die „Hütte“ kommt eher einem kleinen Haus gleich und bevor es gebaut wurde, versammelten sich die Frauen stets unter einer abgenutzten Plastikplane. Sie konnten dort beobachtet werden und mussten ihre Treffen bei Regen abbrechen. „Jetzt sind wir nicht nur vor dem Regen geschützt, sondern haben auch Stille. Endlich können wir in Ruhe darüber sprechen, was uns widerfahren ist“, sagt Lopu, eine der Frauen im Dorf, Überlebende von häuslicher Gewalt und Mutter von vier Kindern.
Ein neuer Ort der Ruhe, des Friedens und der Sicherheit
Die Friedenshütten sind Teil eines Projekts des Friedensfonds der Vereinten Nationen. Gemeinsam mit Plan International und liberianischen Regierungsstellen sollen Mädchen und junge Frauen dahingehend gestärkt werden, Dialoge zu führen, positive Veränderungen zu bewirken und zu einer friedvollen Gesellschaft beizutragen. Ein wichtiger Beitrag dafür sind die Friedenshütten – die sicheren Räume –, in denen die Teilnehmerinnen Heilung finden, um nach den Bürgerkriegen im Land und vielerlei Gewalterfahrungen die Versöhnung zu fördern.
Die Räumlichkeiten dienen als neutrale Orte, in denen Frauen sich treffen, Streitigkeiten schlichten und Probleme offen ansprechen können, mit denen sie konfrontiert sind. „Dieser Ort gibt uns ein Gefühl der Sicherheit“, sagt Lopu. „Endlich fühlen wir uns gehört.“


Neben der Aussicht auf Linderung von Traumata und einer Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Gewalt dienen die Räume als Anlaufstellen für den Dialog innerhalb der Gemeinschaft, um Konflikte jeder Art zu lösen. Mit ihren ausgebildeten Mediatorinnen und Beraterinnen bieten sie Plattformen, um jahrelang verdrängte Probleme auf sensible Weise wirkungsvoll anzugehen. „Wir warten nicht mehr darauf, dass die Polizei kommt, wenn etwas passiert ist. Wir handeln frühzeitig. Wir reden miteinander. Wir helfen uns gegenseitig. Das ist Frieden“, sagt Amina, eine der Mediatorinnen, die im Rahmen des Projekts ausgebildet wurde. In acht Gemeinden in Liberia gibt es solche Friedensräume bereits.
„Wir warten nicht mehr darauf, dass die Polizei kommt, wenn etwas passiert ist.“
An die Friedenshütten angeschlossen sind landwirtschaftliche Verarbeitungsstätten, in denen Frauen Trainings in der Verarbeitung und Verpackung von Feldfrüchten wie Maniok erhalten. Sie können ihre Agrarprodukte verkaufen, um ihr Einkommen zu verbessern. Oder diese selbst zubereiten – so wie heute, wo es für die Frauen etwas zu feiern gibt. Die Projektaktivitäten dienen nicht nur der Einkommenssicherung, sondern auch der Stärkung der Frauen.

Mit rohem Maniok haben die meisten Frauen bisher kaum etwas verdient. Doch seit sie ihn nun gemeinsam zu Fufu verarbeiten – einem stärkehaltigen Brei, der in der einheimischen Küche als Beilage zu den Hauptmahlzeiten gereicht wird – können sie mit höheren Einnahmen rechnen und beispielsweise die Schulgebühren ihrer Kinder bezahlen. Im Rahmen des Friedensprojekts werden daher Frauen aus verschiedenen Lebensbereichen zusammengebracht, die sich in landwirtschaftlichen Kooperativen organisieren und dafür Werkzeuge sowie Schulungen erhalten.
Wer wirtschaftlich voneinander abhängt, schließt Frieden mit sich und anderen
Es handelt sich um Maßnahmen für selbstständiges Wirtschaften, die gleichzeitig die Abhängigkeit der Frauen von anderen Familienmitgliedern und Partnern verringern. Mit wachsender wirtschaftlicher Stabilität gewinnen viele Frauen auch an Selbstvertrauen. Sie fassen den Mut, sich gegen Missbrauch zu wehren. Viele treten innerhalb ihrer Haushalte für ihre Rechte ein, handeln Kompromisse aus und beteiligen sich auch an Entscheidungen auf Gemeindeebene. Zugleich sind die Gruppen darauf ausgerichtet, eine Art Frühwarnsystem zu etablieren.

Die Teilnehmerinnen werden dafür sensibilisiert, Spannungen und/oder potenzielle Gewalt zu erkennen. Die Gruppen treffen sich regelmäßig, um Probleme in ihrer Gemeinschaft zu erfassen und friedliche Lösungen zu empfehlen. Auch und gerade in diesem Bereich ist es erforderlich, dass Jungen und Männer eingebunden werden. Für Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren organisiert Plan International Workshops zu gewaltfreiem Verhalten, Geschlechtergleichstellung und respektvolle Beziehungen. Diese Bemühungen verändern behutsam schädliche Normen und verringern die Stigmatisierung von Überlebenden.
„Frieden beginnt mit Würde!“
Eine Einweihungsfeier für die neue Friedenshütte
Für einen Augenblick verstummen jetzt die Stimmen und das verhaltene Gelächter der Frauen – es wird leise. Sie lassen die Kocharbeiten ruhen und nehmen Platz unter einem breiten Zeltdach für einen kleinen Festakt: Die symbolische Schlüsselübergabe für das neue Haus des Friedens steht auf dem Programm, bei der eine Frau auf dem Podium erscheint, die ihren Weg in diese Richtung bereits gegangen ist. Und als sie ihre Stimme erhebt, wird es ganz still: „Frieden beginnt mit Würde! Und Würde beginnt damit, Frauen die Mittel an die Hand zu geben, um zu heilen, sich zu äußern und die Führung zu übernehmen. Diese Friedenshütte ist nur der Anfang“, sagt Miriam Murray, Länderdirektorin von Plan International Liberia.
Für Amina, Lopu und die anderen Frauen im Publikum ist die Friedenshütte von Todee denn auch weit mehr als nur ein Gemeindezentrum. Sie ist ein Modell für integrierte Friedensförderung, ein sicherer Zufluchtsort und ein Wirtschaftsmotor, der von ihnen selbst angetrieben wird.
Die Geschichte der Friedenshütten wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Liberia erstellt.
