
Mit 15 verlobt, mit 17 Mutter
Mit 15 verlobt, mit 16 verheiratet, mit 17 Mutter – für viele Mädchen in ländlichen Regionen Nepals beginnt so ein Leben, das von Einschränkungen und fehlender Selbstbestimmung geprägt ist. Laut der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2021 sind über 30 Prozent der nepalesischen Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren verheiratet. Diese frühen Ehen entziehen jungen Menschen nicht nur ihre Bildungschancen und ihr Recht auf Selbstständigkeit, sondern haben oft auch gesundheitliche Schäden, ökonomische Abhängigkeit und ein erhöhtes Risiko für Gewalt zur Folge.
Doch Veränderung ist möglich – und sie beginnt bei den Menschen vor Ort. In den Distrikten Bardiya, Kalikot und Jumla setzen sich junge Menschen, Familien, lokale Organisationen und Gemeinden gemeinsam dafür ein, Frühverheiratung zu verhindern. In den ersten Jahren des Projekts, das seit 2020 läuft, sank die Quote der Kinderehen in den beteiligten Regionen von 58 auf 23 Prozent – ein bemerkenswerter Fortschritt. Im Zentrum steht dabei eine Jugend, die ihre Rechte kennt, ihre Stimme erhebt und selbstbewusst ihre Zukunft gestaltet.


Veränderung, die in der Gemeinschaft wächst
Frühverheiratung ist nicht allein eine juristische oder kulturelle Herausforderung; sie ist eng verwoben mit Armut, eingeschränkten Bildungsperspektiven und traditionellen Geschlechterrollen. Wirksame Prävention muss daher an vielen Stellen gleichzeitig ansetzen: rechtlich, ökonomisch, bildungspolitisch und gesellschaftlich.
Seit fünft Jahren arbeiten lokale Behörden und Organisationen sowie Plan International gemeinsam an einem Ziel: ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen und ihre Lebenswege selbst gestalten können. Der Ansatz ist – wie bei allen Plan-Projekten – gemeinschaftsgetragenen: Veränderung wird nicht von außen angestoßen, sondern von innen heraus gestaltet.


Bildung als Schlüssel
Zentrale Grundlage der Projektarbeit ist der Zugang zu Information und Bildung. Mehr als 41.000 Jugendliche wurden in Fragen sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte (SRGR) geschult. In Kinder- und Jugendclubs organisieren sie Theaterstücke, Gesprächsrunden, Informationskampagnen und Hausbesuche. Dabei geht es nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um die Stärkung junger Menschen – und zwar in Sachen Selbstwahrnehmung, Selbstvertrauen und Entscheidungskompetenz.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die wirtschaftliche Selbstständigkeit. In sechs Gemeinden fördern lokale Genossenschaften unternehmerische Initiativen. Die Bedingung dabei: Kredite werden nur an Familien vergeben, die sich verpflichten, keine Kinderehen zu arrangieren. Dieses Modell sorgt nicht nur für finanzielle Stabilität, sondern verändert langfristig Perspektiven. So werden Mädchen und junge Frauen zunehmend als eigenständige wirtschaftliche Akteurinnen wahrgenommen.
Fortschritte, die Hoffnung geben
Soziale Normen wandeln sich nicht über Nacht – sie brauchen Zeit, Dialog und glaubwürdige Führsprecher:innen. Deshalb wurden religiöse und gesellschaftliche Autoritätspersonen aktiv in die Projektarbeit eingebunden. Über 1.500 von ihnen engagieren sich inzwischen öffentlich gegen Kinderehen, führen nur noch Eheschließungen zwischen Erwachsenen durch und fordern aktiv Altersnachweise ein.
Damit dieser Wandel von Dauer ist, braucht es strukturelle Rückendeckung. In enger Zusammenarbeit mit lokalen und regionalen Behörden entstanden mehr als zwei Dutzend politische Veränderungen: von Kinderschutzrichtlinien über Fünfjahrespläne bis hin zu Strategien, die Kinder und Jugendliche gezielt einbeziehen. Schulen überarbeiten ihre Verhaltensregeln, Lehrkräfte und Eltern nehmen an Fortbildungen teil, und zusätzliche Angebote – wie Sport- oder Theaterclubs – fördern heute Engagement und Bewusstseinsbildung auf kreative Weise. Auf Provinzebene wurde eine Achtjahresstrategie verabschiedet, die vorsieht, die Region Karnali bis 2030 frei von Kinderehen zu machen. Bisher konnten dank dieser Bemühungen über 700 Kinder zur Schule zurückkehren und immer mehr Jugendliche kennen nun ihre Rechte und nutzen ihre Stimme.
Zwei persönliche Geschichten zeigen, wie Mädchen ganz konkret von diesem Wandel profitieren:

„Ich will wirtschaftlich unabhängig sein, bevor ich heirate.“


Surya
Surya aus Bardiya wurde früh verheiratet und kennt die damit verbundenen Herausforderungen. Heute, als Mutter von vier Kindern, blickt sie nicht zurück, sondern nach vorn. Unterstützt durch das Projekt von Plan International begann sie damit, Gemüse anzubauen. Was mit einem Zuschuss von 20.000 NPR (etwa 120 Euro) begann, entwickelte sich nach und nach zu einem kleinen, stabilen Einkommen. Das ermöglicht es ihr, für den Schulbesuch ihrer Kinder und die medizinische Versorgung ihres Mannes aufzukommen.
„Ich habe viele Schwierigkeiten erlebt, weil ich so jung verheiratet wurde“, sagt Surya. Umso entschlossener setzt sie sich heute dafür ein, dass ihre Kinder selbstbestimmt über ihre Zukunft entscheiden können – mit Bildung als Basis.

Shivalaxmi
In der Bergregion Jumla lebt Shivalaxmi. Noch vor wenigen Jahren konnte sie sich nicht im Traum vorstellen, einmal Unternehmerin zu sein. Heute betreibt sie eine erfolgreiche Schafzucht, finanziert ihr Bachelorstudium selbst und sieht keine Eile zu heiraten.
„Ich will erst wirtschaftlich unabhängig sein“, sagt sie selbstbewusst. Der Impuls für diese klare Überzeugung kam durch einen SRGR-Workshop, der ihr neue Perspektiven eröffnete und sie mit dem Wissen ausstattete, um selbstsicher für ihre Rechte einstehen zu können. Mit Unterstützung ihrer Familie und viel Eigeninitiative baute sie ihren Betrieb nach und nach auf. Was mit anfangs nur zwei Tieren begann, ist heute eine stolze Herde von 35 Tieren.


Für eine Zukunft, in der Kinderehen der Vergangenheit angehören
Nepal ist Teil einer wachsenden Bewegung. Bis 2030 soll das Land frei von Kinderehen sein – mithilfe von lokalen Initiativen, engagierten Jugendlichen, politischen Entscheidungsträger:innen und Organisationen, die gemeinsam mit den Menschen in den Gemeinden daran arbeiten, neue Lebenswege zu ermöglichen.
Junge Frauen lernen dadurch, für sich selbst einzustehen. Sie lernen, „Nein“ zu sagen zu einem Leben, das andere für sie entscheiden wollen. Und „Ja“ zu einer Zukunft, die sie selbst mitgestalten.
Die Geschichten von Surya und Shivalaxmi wurden mit Material aus dem nepalesischen Plan-Büro aufgeschrieben.