Hinter den Türen häuslicher Gewalt
Hinweis: Der nachfolgende Artikel beschreibt Formen extremer Gewalt
*Name aus Persönlichkeitsschutz geändert
Flor*, heute 20 Jahre alt, wuchs in einer kleinen Andengemeinde in der Region Cusco in Peru auf. Die Dorfgemeinschaft ist eng miteinander verbunden, Familien unterstützen einander im Alltag, und Entscheidungen über das Leben junger Menschen werden häufig gemeinsam getroffen. Mit 15 Jahren lernte Flor den drei Jahre älteren Vater ihres Kindes kennen. Für sie begann eine erste Verliebtheit, wie sie viele Jugendliche erleben. Doch eine Schwangerschaft bedeutete in ihrer Umgebung mehr als eine persönliche Veränderung: Sie führte dazu, dass junge Paare meist zusammenziehen und eine gemeinsame Haushaltsführung übernehmen, unabhängig vom Alter oder davon, ob die Jugendlichen sich darauf vorbereitet fühlten.
„Wir waren verliebt. Als ich schwanger wurde, sagten meine Eltern, dass wir zusammenziehen müssten", erzählt Flor. Für sie blieb wenig Raum, über ihre eigenen Vorstellungen nachzudenken. Die Entscheidung wurde getroffen, bevor sie wirklich erfassen konnte, was sie bedeutete.
Ein viel zu früher Übergang ins Erwachsenenleben
In vielen ländlichen Regionen Perus werden Jugendliche nach einer frühen Schwangerschaft häufig in Partnerschaften gedrängt oder ermutigt, zusammenzuziehen. Obwohl das Land 2023 gesetzliche Regelungen verschärfte und Kinder- wie Frühehen offiziell verbot, bestehen informelle Partnerschaften unter Minderjährigen weiterhin fort.
Sie entstehen aus einem Zusammenspiel von gesellschaftlichem Druck, früh Verantwortung zu übernehmen, wirtschaftlicher Unsicherheit, die junge Menschen dazu zwingt, auf Partner oder Familie zu vertrauen, und familiären Vorstellungen darüber, wie Schwangerschaft und Partnerschaften „geregelt“ werden sollten. Nationale Daten zeigen, dass rund 14 Prozent der Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag in einer Ehe oder Partnerschaft leben, manche beginnen deutlich früher.
„Am Anfang stritten wir nur. Dann wurden seine Worte härter und irgendwann schlug er mich.“
Wenn Nähe in Kontrolle umschlägt
Was bei Flor als Verliebtheit begann, entwickelte sich bald in eine Beziehung, die von Spannungen, Überforderung und schließlich Gewalt geprägt war.
Die Gewalt richtete sich nicht nur gegen Flor selbst: Auch ihre Eltern wurden angegriffen, als sie einschritten. In Peru sind Fälle häuslicher Gewalt keine Seltenheit. Besonders junge Mütter, die finanziell abhängig sind und noch nicht über eigene soziale Netzwerke verfügen, geraten häufig in Situationen, aus denen sie nur schwer entkommen können.
Ökonomische Abhängigkeit
Nach der Geburt ihrer Tochter versuchte Flor, durch Arbeit in der Gemeindeverwaltung das Leben ihrer kleinen Familie zu unterstützen. Doch ihr Einkommen wurde ihr regelmäßig weggenommen. Sie hatte keine Unterstützung, kaum Trost und ihr Partner kontrollierte die Finanzen.
„Er sagte, wir müssten Schulden bezahlen. Er trank täglich Alkohol, aber für unser Baby blieb nichts“, erzählt sie. Auch finanzielle Kontrolle ist eine Form häuslicher Gewalt, die Isolation schafft und Selbstbestimmung einschränkt. Für Flor bedeutete dies, dass sie nicht einmal die Grundbedürfnisse ihres Kindes eigenständig sichern konnte.
Die Situation eskalierte, als ihr Partner von einer neuen Beziehung sprach. Der Konflikt führte zu Gewalt gegen Flor, ihre Schwester und ihren Vater. Für Flor war dies ein Wendepunkt, die Dringlichkeit, ihre Situation zu verändern, wurde nun unübersehbar. Es war jedoch kein einfacher Schritt: Die strukturellen Zwänge, die Abhängigkeit und die Verantwortung für ihr Kind blieben bestehen.
Unterstützung und erste Schritte
Flors Mutter hatte von Workshops von Plan International gehört und nahm ihre Tochter mit. Dort begann Flor, über ihre Situation zu sprechen und ihre Rechte kennenzulernen. „Ich habe verstanden, dass ich ein Recht auf Schutz habe, auch wenn es schwierig ist, diesen Schutz umzusetzen“, sagt sie.
Mit Unterstützung ihrer Familie meldete Flor den Missbrauch bei den Behörden und beantragte Unterhalt für ihre Tochter. Die Schritte waren mühsam, aber sie bedeuteten, dass Flor nun nicht mehr alles alleine bewältigen musste.
Ein Leben neu ordnen
Heute lebt Flor mit ihrer Tochter im Haus ihrer Eltern. Der Alltag ist arbeitsreich: Mithilfe auf dem Hof, Betreuung ihrer Tochter, Jobsuche. Vieles bleibt herausfordernd. Doch Flor plant ihre Zukunft bewusst: „Ich möchte meine Ausbildung fortsetzen“, sagt sie. „Ich will Grundschullehrerin werden.“
Sie engagiert sich zudem ehrenamtlich, spricht mit Jugendlichen über ihre Rechte und die Risiken früher Partnerschaften. Dabei geht es ihr besonders darum, Wissen und Möglichkeiten zu teilen.
Eine Stimme, die Mut macht
Wenn Flor über ihre Vergangenheit spricht, klingt sie ruhig, aber bestimmt. Sie beschreibt sich weder als Opfer noch als Heldin, sondern als junge Frau, die ihre Geschichte zurückgewinnt – und anderen Mädchen Mut machen möchte, ihre eigene Stimme zu finden.
„Ich möchte, dass andere Mädchen wissen, dass sie wertvoll sind“, sagt sie. „Und dass sie ein Leben ohne Gewalt verdienen.“
Hilfetelefon für Betroffene aller Nationalitäten, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben in Deutschland: 040/ 116 016
Die Geschichte von Flor wurde mit Material aus dem peruanischen Plan-Büro aufgeschrieben.