Dem Tod entkommen

Foto: Plan International

Aurora wurde als Jugendliche in Paraguay in eine Zwangsehe gedrängt, jahrelang isoliert und bedroht. Doch sie fand den Mut zur Flucht – und baute sich mit ihren Kindern ein neues Leben auf. Heute kämpft sie dafür, dass andere Mädchen und Frauen frei leben können.

Aurora*, geboren in einer indigenen Gemeinde im paraguayischen Departamento San Pedro, blickt auf eine Kindheit zurück, die von Wärme und Lachen geprägt war. Sie erinnert sich an endlose Nachmittage voller Spiele mit ihren Schwestern, an enge Freundschaften und an die Bücher, in deren Welten sie sich verlieren konnte. „Als kleines Mädchen war es mein Traum, Anwältin zu werden“, sagt sie. Für sie war Bildung nicht nur Wissen – sondern ein Versprechen. Ein Weg, das eigene Leben selbst zu gestalten.

Als Aurora elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Sie zog mit ihrer Mutter in die Hauptstadt Asunción, um ihre schulische Laufbahn fortzusetzen. Dort schaffte sie die sechste Klasse, begann die weiterführende Schule – und glaubte fest an eine Zukunft, die sie selbst bestimmen würde. Doch nur wenige Jahre später sollte alles anders kommen.

Eine Frau steht aus einem Feld und schaut in die Ferne
Nach Jahren der Gewalt fand Aurora den Mut zur Flucht und begann ein neues Leben mit ihren Kindern Plan International

Eine scheinbare Chance, die zur Falle wurde

Mit 17 erhielt Aurora das Angebot, in das Departamento Alto Paraná im Osten des Landes zu ziehen. Verwandte versprachen ihr eine Arbeitsstelle – eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, die Schule zu beenden und später Lehrerin zu werden. Voller Hoffnung nahm sie an.

Doch bei ihrer Ankunft zerbrach diese Hoffnung schlagartig. Es gab weder Arbeit noch Schule. Stattdessen wartete ein deutlich älterer Mann auf sie. Ohne ihr Wissen war sie in eine Zwangsehe verkauft worden – eine Praxis, die in einigen Regionen Paraguays bis heute vorkommt.

Der Mann kontrollierte sie bis ins kleinste Detail: ihr Telefon, ihre Kleidung, ihre Bewegungen. Aurora war wie gefangen, zumal das Haus isoliert am Rand eines Sumpfgebietes lag – ohne Straße, ohne Nachbarn. „Er drohte, mich zu töten und im Sumpf verschwinden zu lassen, wenn ich ihm widersprach oder etwas tat, das ihm nicht gefiel“, erinnert sich Aurora.

Mit 18 wurde sie zum ersten Mal Mutter, mit 19 zum zweiten Mal. Und mit jedem Tag wuchs in ihr der Wille, das Schweigen zu brechen – und diesem Leben zu entkommen.

Der Mut zur Flucht

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes fasste Aurora einen riskanten Plan. Sie täuschte gesundheitliche Probleme nach dem Kaiserschnitt vor und erklärte, nach Asunción reisen zu müssen, um sich behandeln zu lassen. Der Mann ließ sie gehen – überzeugt davon, dass sie zurückkehren würde. Doch Aurora wusste: Das war ihre einzige Chance zur Flucht.

Als sie das Haus ihrer Mutter betrat, spürte sie Scham und Unsicherheit. Die Jahre der Kontrolle und Bedrohung lasteten schwer auf ihr. Doch ihre Mutter brauchte keine Erklärungen. „Meine Mutter wusste alles, ohne dass ich etwas sagen musste“, erzählt Aurora.

In den ersten Tagen kümmerte sich die Mutter um das Nötigste, besorgte Kleidung für ihre Tochter und die Enkelkinder. Erstmals seit Jahren konnte Aurora wieder zur Ruhe kommen – und ein Gefühl von Sicherheit verspüren, das ihr so lange verwehrt war.

Doch die Gefahr war noch nicht vorbei. Der Mann suchte nach ihr und fand sie auch. Dieses Mal jedoch stellte sich Aurora ihm entgegen und sagte: „Du hast mich schon vor langer Zeit getötet. Aber jetzt bin ich wieder lebendig.“ 

„Früh- und Zwangsehen sind falsch. Sie müssen gemeldet werden, und die Behörden müssen handeln.“

Aurora (44), konnte sich aus einer Zwangsehe befreien

Neubeginn und Selbstbestimmung

Aurora war 21, als sie ihr Leben neu begann. Sie schloss die Schule ab, fing ein Studium an und wurde Lehrerin – schließlich sogar Schuldirektorin. Heute, mit 44 Jahren, ist sie Mutter von vier Kindern. Und sie erfüllt ihren Kindheitstraum auf eine andere Art: indem sie junge Menschen stärkt.

„Ich bringe den Kindern bei, dass sie das Recht haben, ihre Entscheidungen selbst zu treffen“, sagt sie. Seit vielen Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich bei Plan International. In Workshops spricht sie mit Jugendlichen, Frauen und Familien über Selbstbestimmung, Gewaltprävention und Menschenrechte. Sie ermutigt sie, Warnsignale ernst zu nehmen und Hilfe zu suchen.

„Früh- und Zwangsehen sind falsch. Sie müssen gemeldet werden, und die Behörden müssen handeln“, sagt Aurora mit Nachdruck.

Eine Frau steht an einer Tafel und schreibt
Bildung gab Aurora die Kraft, ihren Weg selbst zu bestimmen – heute ermutigt sie andere, das Gleiche zu tun Plan International
Eine Hand hält einen Stift und schreibt etwas auf Papier.
Aurora setzt sich heute für die Rechte von Mädchen und jungen Frauen ein – gestärkt durch ihre eigene Lebensgeschichte Plan International

Programme für den Wandel

Auroras Geschichte ist kein Einzelfall. In Paraguay heiraten rund 22 Prozent aller Mädchen bevor sie 18 Jahre alt sind. In besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist der Anteil sogar noch höher. Armut, fehlende Bildungschancen, konservative Normen und ungewollte Teenagerschwangerschaften erhöhen das Risiko zusätzlich.

Plan International arbeitet deshalb gemeinsam mit Gemeinden, Schulen und Behörden daran, Kinder und Jugendliche zu schützen. Programme wie „Girls Leaders of Change“ und „Girls Free from Violence“ stärken junge Menschen in ihren Rechten, fördern Aufklärung und sorgen dafür, dass Gewalt frühzeitig erkannt und gemeldet wird. Lokale Netzwerke bieten Betroffenen Unterstützung – und zeigen Wege aus gefährlichen Situationen.

Wenn Aurora heute vor einer Gruppe junger Menschen steht, ist ihre Entschlossenheit spürbar. Sie weiß, wie schwer der Weg aus einer gewaltvollen Beziehung sein kann und wie entscheidend jede helfende Hand ist. Ihre Botschaft ist klar und macht Mut: „Ertragt niemals etwas, das ihr nicht wollt. Habt keine Angst um Hilfe zu bitten. Es gibt immer jemanden, der euch unterstützen kann. Wir müssen frei sein.“

*Auroras Name wurde zum Schutz ihrer Identität geändert. Ihre Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Paraguay erstellt.

Gewalt gegen Frauen beenden

Weltweit erleben Millionen Mädchen und Frauen Gewalt – oft im Verborgenen, oft ohne die Chance, sich zu wehren. Geschichten wie die von Aurora zeigen, wie wichtig Schutz, Aufklärung und starke Unterstützungsnetzwerke sind.

Mit Ihrer Spende unterstützen Sie Programme von Plan International, die Mädchen und Jugendliche stärken, Gemeinden sensibilisieren und gefährdete Kinder vor Gewalt schützen. Jede Hilfe trägt dazu bei, dass Mädchen und junge Frauen frei, selbstbestimmt und sicher aufwachsen können.

 

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