Sichtbar werden – Fantas Geschichte
Die Sonne über Conakry, der Hauptstadt Guineas, heizt die Straßen auf, als Fanta den Schulweg antritt. Ihre Tasche ist gepackt, die Uniform sitzt sorgfältig, und jeder Schritt ist bedacht. Die 15-Jährige geht selbstbewusst, Schritt für Schritt. Ein Alltag, der für sie lange nicht selbstverständlich war.
Fanta lebt mit Albinismus, einer genetischen Veranlagung, bei der der Körper nur wenig oder kein Pigment (Melanin) produziert. Dadurch sind Haut, Haare und Augen heller als üblich, und Betroffene haben oft eine erhöhte Lichtempfindlichkeit sowie ein höheres Risiko für Sehstörungen. In Fantas Kindheit war sie deshalb oft Ziel von Spott und Ausgrenzung, manche Tage waren besonders schwer. Heute sagt sie: „Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu verstecken.“
Zwischen Deutung und Diskriminierung
Albinismus ist, wie in anderen Teilen Westafrikas, mit unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen verbunden, die in lokalen Glaubenssystemen verankert sind.
In manchen Gemeinschaften wird Albinismus als Zeichen besonderer spiritueller Eigenschaften gesehen: So glauben einige, dass Menschen mit Albinismus die Fähigkeit besitzen, Krankheiten zu heilen, oder dass sie eine besondere Nähe zu den Ahnen und Geistern haben. In anderen Gemeinschaften wird Albinismus hingegen mit Unglück, Fluch oder außergewöhnlichem Schicksal in Verbindung gebracht. Solche Deutungsmuster sind Ausdruck der Art und Weise, wie Gesellschaften Unterschiede wahrnehmen und einordnen.
Für die Betroffenen kann dies jedoch zu sozialer Ausgrenzung führen. Menschen mit Albinismus erfahren sowohl Neugier als auch Vorurteile und müssen ihren Alltag in einem Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Marginalisierung gestalten.
„Manche Menschen spuckten, wenn sie mich sahen. Ich weinte oft, aber ich wollte lernen. Also machte ich weiter.“
Familie und Neubeginn
Fantas Mutter wurde jung schwanger. Als der Vater sah, dass sein Kind mit Albinismus geboren wurde, ließ er seine Familie sitzen und brach jeglichen Kontakt sowie die finanzielle Unterstützung ab. Allein zog Fantas Mutter ihre Tochter groß, gegen gesellschaftliche Erwartungen und das Gerede der Nachbarschaft. Später lernte sie einen Mann kennen, der Fanta als seine Tochter annahm. „Er hat mir gezeigt, was Familie bedeutet“, sagt Fanta heute. Diese Stabilität half ihr und ihrer Mutter, den täglichen Herausforderungen zu begegnen.
Doch die Schule blieb schwierig. Viele Kinder wussten nicht, wie sie mit Fanta umgehen sollten. Irgendwann sprach sie mit ihrem Schulleiter über das Mobbing. Er hörte zu, und sprach schließlich mit der Klasse über Respekt und Vielfalt. Danach wendete sich das Blatt. „Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich dazugehöre“, erzählt Fanta.
Bildung als Schlüssel
In Guinea ist Bildung kein selbstverständlicher Weg, besonders für Mädchen und Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Ein Gesetz von 2019 schützt zwar die Rechte von Menschen mit Albinismus, doch im Alltag fehlen Ressourcen und Bewusstsein für Chancengleichheit.
Weitere Hürden wie frühe Heirat, häusliche Arbeit und eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung erschweren den Schulbesuch für Mädchen. Nur jede Dritte schafft den Abschluss der ersten Sekundarstufe, also den Hauptschulabschluss. Die Mehrheit verlässt die Schule vorzeitig, oft bereits im Alter von 12 oder 13 Jahren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Familien brauchen zusätzliche Hände im Haushalt, gesellschaftliche Erwartungen setzen Mädchen unter Druck, und der Weg zur Schule ist für viele weit oder unsicher.
Ein Programm, das stärkt
Einen Wendepunkt brachte ein Bildungsprojekt von Plan International. Es richtet sich an Kinder, die oft übersehen werden: Mädchen, Kinder mit Behinderungen, Jugendliche ohne Schulzugang. Ziel ist es, Bildung inklusiver zu gestalten und lokale Gemeinschaften einzubeziehen.
Zu Beginn des Schuljahres erhielt Fanta im Rahmen dieses Projekts nicht nur Schulmaterialien und Hygieneartikel, sondern vor allem Unterstützung, die das tägliche Leben erleichterte. „Dadurch konnte meine Mutter besser für uns sorgen, und ich fühlte mich motiviert, weiterzumachen“, sagt sie. Noch wichtiger war jedoch das Gefühl, ernst genommen zu werden: Das Projekt gibt den Kindern und Familien die Möglichkeit, selbst Entscheidungen zu treffen und aktiv ihren Alltag zu verbessern. So entstehen Veränderungen direkt in den Gemeinden – nachhaltig und spürbar.
„Ich habe gelernt, an mich zu glauben.“
Fanta nahm an Workshops zu Selbstakzeptanz, Menstruationshygiene sowie sexueller und reproduktiver Gesundheit teil. Dort lernte sie, über Themen zu sprechen, die in ihrem Umfeld selten offen angesprochen werden.
Ein neuer Alltag
Heute steht Fanta früh auf, hilft zu Hause und geht motiviert zur Schule. Sie spricht offen über Albinismus, erklärt Freundinnen, warum Sonnenschutz wichtig ist, und engagiert sich aktiv im Schulkomitee. Das Projekt hat ihr nicht nur materielle Unterstützung gegeben, sondern vor allem das Selbstvertrauen, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. „Früher wollte ich unsichtbar sein. Jetzt will ich anderen Mut machen“, bringt sie es auf den Punkt.
Die Geschichte von Fanta wurde mit Material aus dem guineischen Plan-Büro aufgeschrieben.