
Jede Minute Leben schenken
Der Gazastreifen steht seit Monaten unter Beschuss. Die Gewalt hat nicht nur Häuser zerstört, sondern auch die ohnehin fragile Infrastruktur zum Einsturz gebracht – insbesondere das Gesundheitswesen. Nur 19 der einst 36 Krankenhäuser waren im Mai 2025 noch funktionsfähig. Damit stehen etwa 2.000 Betten für zwei Millionen Menschen zur Verfügung. Ein Mangel, der Leben kostet. Denn auch Medikamente, Verbandsmaterial, Schmerzmittel oder Antibiotika sind in dem Küstenstreifen kaum noch vorhanden. Auch das medizinische Personal ist stark dezimiert: Viele Ärzt:innen sind geflohen, verletzt oder ums Leben gekommen. Doch vor Ort noch immer im Einsatz: Dr. Walaa Wissam Abu Samra, eine Assistenzärztin und stille Heldin in diesem Konflikt.

Leben im Ausnahmezustand
„Früher war ich in fünf Minuten im Krankenhaus, heute suche ich stundenlang ein sicheres Transportmittel“, erzählt Dr. Walaa. Die Spaltung Gazas in Nord und Süd hat nicht nur Familien getrennt, sondern auch die medizinische Versorgung ins Chaos gestürzt. Assistenzärztinnen wie sie stemmen heute Aufgaben, die weit über das hinausgehen, wofür sie ausgebildet wurden. Oft fungieren sie als Notärztinnen – in überfüllten Kliniken ohne ausreichend Personal, ohne bildgebende Diagnostik, unfreiwillig ausgestattet nur mit viel praktischer Erfahrung – und Hoffnung.
Im Al-Shifa-Krankenhaus erinnert sich Dr. Walaa an eine Szene, die sie bis heute nicht loslässt: Ein Vater bringt seine beiden verletzten Kinder, sie scheinen äußerlich stabil, leiden jedoch an inneren Blutungen. CT-Geräte gibt es keine, die Verlegung in ein anderes Krankenhaus ist lebensgefährlich. Der Vater kann den Ernst der Lage nicht fassen, bittet unter Tränen um Hilfe. „Er sagte nur: ‚Er läuft doch, er atmet doch‘ – und weinte wie ich es noch nie bei einem Mann gesehen habe.“ Dr. Walaa blieb bei der Familie, über ihre Schicht hinaus, bis zur Operation. „Ich konnte ihn nicht alleine lassen.“

„Früher sahen wir solche Symptome nur bei wenigen Kindern mit spezifischen Erkrankungen, heute sind sie überall.“
Verletzungen, die man nicht sieht
Die Gewalt trifft nicht nur Körper, sie hinterlässt auch unsichtbare Wunden. Besonders Kinder leiden unter den psychischen Folgen des Kriegs. Dr. Walaa berichtet von einem alarmierenden Anstieg aggressiven Verhaltens, Rückzug und körperlich unerklärbaren Symptomen wie unwillkürlichen Ticks.
Auch das medizinische Personal bleibt von diesen Belastungen nicht verschont. Der Tod von Kolleg:innen gehört inzwischen zum Alltag. „Ich hörte vom Tod einer Krankenschwester, mit der ich lange zusammengearbeitet hatte. Ich saß eine halbe Stunde da und konnte es nicht glauben“, sagt Dr. Walaa. Und dennoch geht sie Tag für Tag wieder hinein, in die Kliniken und damit hinaus in die Gefahr.
Humanitäre Hilfe in einem zerstörten Umfeld
In dieser Situation leistet Plan International gemeinsam mit Partnerorganisationen wie Juzoor for Health & Social Development in Gaza sowie mit weiteren lokalen Nichtregierungsorganisationen in Jordanien und Libanon lebensrettende Hilfe. In Ägypten kooperiert die Kinderrechtsorganisation unter anderem mit Taawon und dem Ägyptischen Roten Halbmond.
Dadurch konnten Lebensmittelpakete, Erste-Hilfe-Sets und Trinkwasserflaschen verteilt werden. Zusätzlich stellt Plan International Hygienepakete speziell für Frauen bereit – mit Artikeln, die im Alltag dringend benötigt werden, aber kaum noch verfügbar sind.



Hoffnung als Widerstand
Trotz aller Erschöpfung und Trauer gibt Dr. Walaa nicht auf. Es sind kleine Dinge, die ihr Kraft geben: Ein gerettetes Leben, ein Dankeswort, ein Moment der Ruhe mit Patient:innen. „Oft wollen sie nur da sitzen, einfach nicht allein sein“, sagt sie. Inmitten von Schmerz und Mangel wird Nähe zur stärksten Medizin.
Dr. Walaa und ihre Kolleginnen sind mehr als Ärztinnen, sie sind Hoffnungsträgerinnen in einer Welt voller Angst. Ihre Arbeit sei eine Art von Akt des Widerstands – gegen das Vergessen, gegen die Gewalt und für das Leben.
Die Geschichte von Dr. Walaa wurde mit Material aus Gaza erstellt.
