
Überleben in Gaza
Latifah (37) und Suhad (39) kommen aus ganz unterschiedlichen Teilen des Gazastreifens. Was sie verbindet, sind Erfahrungen von Verlust, Vertreibung und Existenzangst. Latifah lebt im Süden in Rafah, Suhad stammt aus dem Norden. Beide sind unmittelbar betroffen von dem seit Oktober 2023 andauernden Krieg mit Israel, der das Leben von Millionen Menschen auf beiden Seiten erschüttert hat.
Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen in Ägypten und Jordanien unterstützt Plan International mit humanitärer Hilfe Frauen wie Latifah und Suhad in der Krise – soweit es die Umstände erlauben. Außerdem setzt sich die Kinderrechtsorganisation für den Schutz von Zivilist:innen ein und fordert einen uneingeschränkten Zugang für Hilfsgüter und humanitäre Arbeit.


Leben im Ausnahmezustand
Bevor der Krieg ihr Leben zerriss, lebten beide Frauen in stabilen, wenn auch bescheidenen Verhältnissen. Latifah betrieb mit ihrem Mann eine kleine Wäscherei. Das Einkommen reichte aus, um ihre Kinder großzuziehen und über die Runden zu kommen. Auch Suhad hatte sich zusammen mit ihrer Familie ein sicheres und geborgenes Zuhause geschaffen. Finanziell ging es ihnen gut.
Doch das, was sie sich mühsam aufgebaut hatten, wurde ihnen innerhalb weniger Minuten entrissen. In einem Raketenangriff verlor Latifah nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihren Ehemann und zwei ihrer erwachsenen Söhne. Suhads Wohnung wurde zerstört und geplündert.


Die Last auf den Schultern der Frauen
Seit dem Tod ihres Mannes trägt Latifah die Verantwortung allein. Sie kümmert sich um ihre drei überlebenden Kinder; zwei Teenager und ein kleiner Junge von drei Jahren. Dabei kämpft sie nicht nur mit der materiellen Not, sondern mit der emotionalen Isolation, die viele alleinstehende Frauen in Krisengebieten erleben. „Ich habe niemanden mehr, der mich stützt“, sagt sie.
Auch Suhad ist auf sich gestellt. Ihr Mann ist krank und arbeitsunfähig, sie allein muss die Versorgung der sieben Kinder sicherstellen. Was für andere Eltern selbstverständlich ist – Essen, sauberes Wasser, ein Dach über dem Kopf – ist für sie ein täglicher Kampf.
„Wir stehen jeden Tag vor der Frage: Essen oder frieren?“
Kein Alltag, nur Überleben
Der Alltag in Gaza ist geprägt von Entbehrungen. Wasser gibt es vielleicht einmal pro Woche. Brot, Zucker oder Seife sind Mangelware. Suhad beschreibt ihren Tag als eine endlose Abfolge von Warteschlangen. Latifah erinnert sich an Nächte auf einem Rollfeld, in denen sie ihre Kinder mit Plastikplanen schützte. Der Ramadan, einst eine Zeit der Familie und des Beisammenseins, ist heute von Schmerz durchzogen. „Am ersten Tag des Ramadans haben wir nur geweint. Es war der Todestag meines Mannes“, erzählt sie. Das gemeinsame Fastenbrechen am Abend wurde zum Symbol dessen, was sie verloren hat.

„Jeder Tag ist ein Überlebenskampf.“
Kindheit unter Trümmern
Beide Frauen erleben, wie ihre Kinder unter der Last des Krieges heranwachsen. Suhads Kinder suchen nach verwertbarem Material, das sie zu Geld machen können, um davon Essen zu kaufen. Latifahs Sohn spricht kaum noch und verweigert die Schule. „Er hat gesehen, wie sein Vater getötet wurde“, erklärt die verzweifelte Mutter.
Die Schulen sind weitestgehend geschlossen, Bildung ist für die meisten Kinder ein ferner Traum. Suhad fürchtet, dass ihre Töchter und Söhne ihre Zukunft verlieren und dass sie ohne Schulbildung aufwachsen, entwurzelt und perspektivlos. Der psychische Tribut ist hoch: Die Kinder schweigen, ziehen sich zurück, sprechen kaum noch über das Erlebte. Für therapeutische Hilfe gibt es weder Raum noch Ressourcen.



Überforderung und Schuldgefühle
Beide Mütter gestehen, dass sie überfordert sind. Suhad ringt mit ihrer eigenen Hilflosigkeit. „Manchmal schreie ich meine Kinder an oder schlage sie. Ich schäme mich“, gibt sie zu. Auch Latifah kämpft mit dem Gefühl, nicht genug tun zu können, auch durch den Verlust ihres Partners, mit dem sie einst die Erziehung teilte.
Das Trauma lässt sich nicht einfach ausblenden. Beide Frauen versuchen dennoch, ihren Kindern in einer Welt, in der nichts mehr sicher ist, Halt zu geben. Doch die Angst bleibt ihr ständiger Begleiter.
Die Angst vor der Zukunft
Latifah fragt sich, was passiert, wenn sie kein neues Zuhause findet. Suhad hat Angst vor dauerhafter Vertreibung. Davor, dass sie nie mehr zurückkehren kann. Etwa 70 Prozent der Gebäude in Gaza sind laut aktuellen Zahlen von UNOSAT beschädigt oder zerstört. Die Aussicht auf Wiederaufbau scheint wie ein ferner Traum. „Ich bereue, dass ich mein Haus verlassen habe. Vielleicht wäre es besser gewesen, mit den anderen unter den Trümmern zu bleiben“, sagt Suhad leise.
Zwischen Resignation und Widerstand
Trotz aller Verzweiflung geben beide Frauen nicht auf. Schon allein ihrer Kinder wegen, denen sie zumindest die Chance auf eine Zukunft ermöglichen wollen – so fragil diese auch sein mag. Latifah appelliert: „Haltet eure Lieben fest. Ihr wisst nicht, wie schnell alles vorbei sein kann.“ Suhad sagt: „Seht hin. Seht, was aus uns geworden ist. Und fragt euch, was ihr tun könnt.“
Ihre Geschichten sind keine Einzelfälle. Hunderttausende Zivilist:innen in Gaza teilen ein ähnliches Schicksal. Plan International und seine Partnerorganisationen bemühen sich, diese Stimmen hörbar zu machen und konkret zu helfen: Vor Ort arbeitet Plan International eng mit lokalen Partnerorganisationen in Jordanien, dem Libanon und Ägypten zusammen, unter anderem mit Taawon und dem Ägyptischen Halbmond.
Dank dieser Kooperation konnten bereits Lebensmittelpakete, Erste-Hilfe-Sets sowie Trinkwasserflaschen an notleidende Menschen übergeben werden. Zudem stellt Plan International spezielle Hygiene- und Bedarfspakete für Frauen in Gaza zusammen, die wichtige Alltagsartikel enthalten – ein Beitrag zur Würde und Sicherheit in einer herausfordernden Lebenssituation. Die Einfuhr dieser Hilfsgüter wird allerdings seit März 2025 von der israelischen Regierung wieder vollständig blockiert.


Ein Ruf an die Welt
In einer Welt, die von abstrakten Datenerhebungen und Kennzahlen dominiert wird, mahnen Latifah und Suhad: Hinter jeder Statistik steht ein Mensch. Eine Mutter. Ein Kind. Eine Geschichte.
Zwischen Trümmern und zerbrochenen Lebensentwürfen stehen die beiden Frauen als Mütter, die nahezu alles verloren haben und dennoch weiterkämpfen. Ihre Geschichten sind ein Appell an die Welt, nicht wegzusehen.
Die Geschichte von Latifah und Suhad wurde mit Material aus Gaza erstellt.