Die Träume der Kinder von Tigray

Foto: Plan International

Vier Jugendliche, die durch den Konflikt in ihrer Heimatregion in Äthiopien vertrieben wurden, berichten über ihre Erlebnisse und ihre Wünsche für die Zukunft

Eyerus lebt mit ihrer Großmutter und ihrem Onkel in Shire, einer Stadt in Äthiopien. Ihr Vater starb, als sie zwei Jahre alt war. „Bis zur sechsten Klasse habe ich den Unterricht besucht, aber als die Kämpfe ausbrachen, musste ich die Schule abbrechen“, erklärt die 12-Jährige. Der Konflikt in der äthiopischen Region Tigray, die an Sudan und Eritrea grenzt, hat Millionen Menschen im Norden des Landes vertrieben. Die große Mehrheit der Flüchtenden sind Frauen und Kinder. Sie begeben sich auf gefährliche Reisen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Als der Konflikt im November 2020 ausbrach, suchten Zehntausende von Menschen Zuflucht in Shire, einer der größten Städte in Tigray. Im Jahr 2022 sorgte die Fortsetzung des Konflikts für neue Vertreibungen und führte zu rund 1,8 Millionen Binnenvertriebenen (auch IDPs genannt, kurz für Internally Displaced People) in der Region, von denen viele in einem der 18 über die Stadt verteilten IDP-Camps leben.

Ein Mädchen schaut ernst in die Kamera. Sie trägt ein blaues T-Shirt und ihre schwarzen Haare sind zu einem Zopf gebunden.
Eyerus lebt mit ihrer Großmutter in einem IDP-Camp in Shire. Plan International
Ein Mädchen hält eine gebastelte Blume in die Kamera. Im Hintergrund hängen bunte Bilder an der Wand.
Dort besucht sie regelmäßig das Jugendzentrum. Plan International

Eyerus die Fantasievolle

„Wir sind vor mehr als einem Jahr nach Shire gezogen, nachdem wir aus unserem Haus geflohen waren“, erinnert sich Eyerus. „Unsere Reise war schwierig und wir brauchten Tage, um hierher zu kommen.“ Hier verbringt sie viel Zeit in einem der kinderfreundlichen Räume im IDP-Camp. „Ich gehe immer zum Zentrum, wenn nachdem ich gefrühstückt und meine Hausarbeiten erledigt habe“, erzählt Eyerus. Die Aktivitäten helfen ihr, mit dem Stress und ihren schwierigen Erfahrungen umzugehen. 

„Ich bastele viel. Die Leute im Zentrum haben mir gezeigt, wie ich verschiedene Dinge mit Papier herstellen kann.“ Auch ihre Lebenskompetenzen haben sich verbessert, sie könne besser kommunizieren und ihre Fantasie einsetzen. „Ich singe, tanze und bin kreativ. Dadurch habe ich wieder mehr Freude und Hoffnung in meinem Leben“, berichtet Eyerus. Für die Zukunft wünscht sie sich, ihre Ausbildung abschließen zu können, um eines Tages Lehrerin zu werden. 

„Ich singe, tanze und bin kreativ. Dadurch habe ich wieder mehr Freude und Hoffnung in meinem Leben.“

Eyerus (12)
Ein Mädchen schaut verschmitzt in die Kamera. Hinter hier hängen bunte Bilder an der Wand.
Kisanet verarbeitet im kinderfreundlichen Raum ihre schwierigen Erlebnisse. Plan International

Kisanet die Freundin

Auch Kisanet (14) lebt bei ihrer Großmutter. Ihre Familie trennte sich auf der Flucht und ihre Eltern und Geschwister leben derzeit im Sudan. Sie erinnert sich mit Schrecken an die Reise nach Shire: „Menschen starben durch Schüsse. Das Geräusch beherrschte meine Gedanken vollständig. Es war erschreckend und deprimierend.“ 

„Anfangs stand ich viel unter Stress, aber je mehr Zeit ich hier verbringe, desto wohler fühle ich mich“

Kisanet (14)

Von den Einheimischen vor Ort erfuhren die beiden von den Siedlungen für intern vertriebene Menschen, wo sie sich niederließen. Kisanet verbringt viel Zeit in dem kinderfreundlichen Zentrum, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten und spielen können. „Es hat mir sehr geholfen. Anfangs stand ich viel unter Stress, aber je mehr Zeit ich hier verbringe, desto wohler fühle ich mich.“ Ihr gefallen die kreativen Spiele und auch die sportlichen Angebote im Zentrum. „Am liebsten singe ich und spiele Spiele, beides mache ich mit meinen Freund:innen“, erzählt sie. Auch Kisanet möchte später einmal Lehrerin werden. „In der Zukunft möchte ich weiter zur Schule gehen und studieren. Ich war eine gute Schülerin, besonders gerne lerne ich Sprachen“, schließt sie.

Haftom der Lehrer

Ein weiterer regelmäßiger Besucher des Jugendzentrums ist Haftom. Er wurde auf der Flucht von seinen Eltern getrennt und kam mit seinen Nachbar:innen nach Shire. Er erinnert sich, wie schwierig es anfangs war, im IDP-Camp das Nötigste zu beschaffen. Dann kam er mit Plan International in Kontakt. „Die Mitarbeiter:innen von Plan sprachen mich an und erkundigten sich nach meinem allgemeinen Wohlbefinden“, erzählt der 16-Jährige. „Ich wurde eingeladen, den kinderfreundlichen Raum zu besuchen, wo die Erwachsenen mit mir über meine Situation sprachen.“ 

Ein Jugendlicher schaut an der Kamera vorbei in die Ferne.
Haftom wurde auf der Flucht von seinen Eltern getrennt. Plan International
Ein Jugendlicher steht neben einem Flipchart. Vor ihm sitzen Kinder und hören ihm aufmerksam zu.
Im Jugendzentrum trat er schnell einem Life Skills Club teil. Inzwischen unterrichtet er andere Kinder. Plan International

Tischtennis ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Er spielt oft mit seinen Freunden und ist stolz, wie gut er darin geworden ist. Darüber hinaus ist er Mitglied im Life Skills Club. Neben Englisch bringt er anderen Leuten bei, wie man Kinder, Mädchen und Frauen vor Gewalt schützen kann – aber auch er lernt dabei: „Die Mitgliedschaft im Club hilft mir, meine Kommunikationsfähigkeit zu verbessern und andere Kulturen, Menschen und ihre Emotionen besser zu verstehen“, berichtet Haftom. Er beobachtet auch einen Wandel in seinem Charakter: „Früher war ich deprimiert und zog es vor, allein zu sein mit den Herausforderungen, die ich zu bewältigen hatte. Aber seit ich Zeit in dem Zentrum verbringe, habe ich Freunde gefunden. Das Life Skills Training hat mir geholfen, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.“ 

Haftom wünscht sich, bald nach Hause zurückkehren zu können, um seine Ausbildung abzuschließen. „Ich möchte eine Universität besuchen und eine Karriere als Arzt einschlagen“, sagt er mit Blick auf die Zukunft.

„Das Life Skills Training hat mir geholfen, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.“

Haftom (16)

Yordanos die Künstlerin

Yordanos (15) lebt seit einem Jahr mit ihrer Schwester in Shire, nachdem die beiden auf der beschwerlichen Flucht vor dem Konflikt von ihren Eltern getrennt wurden. Im Jugendzentrum hat sie viele andere junge Menschen getroffen, die ihr Schicksal teilen. Viele nutzen ihre Kreativität, um mit den Erfahrungen umzugehen. „Seitdem wir in der kinderfreundlichen Einrichtung angekommen sind, haben wir alle eine Reihe von Talenten entwickelt“, berichtet sie. „Einige spielen Theater, andere singen Lieder oder malen. Ich kann gut Portraits von Menschen und Blumen zeichnen, weil ich regelmäßig übe.“ Bei dieser Entfaltung werden die Kinder und Jugendlichen von den Mitarbeiter:innen des Zentrums unterstützt. 

Ein Mädchen in grünem T-Shirt schaut ernst in die Kamera. Hinter ihr hängen bunte Bilder an der Wand.
Yordanos zeichnet viel in den kinderfreundlichen Einrichtungen. Plan International

„Ich will Ärztin werden und mit Kindern arbeiten, wenn ich groß bin.“

Yordanos (15)

Auch Yordanos hat Wünsche und Hoffnungen: „Mein Ziel ist es, mich weiterzubilden. Es ist mehr als ein Jahr her, dass ich zur Schule gegangen bin. Ich will Ärztin werden und mit Kindern arbeiten, wenn ich groß bin.“ 

Zukunftspläne sind wichtige Meilensteine 

Zukunftspläne wie die der Kinder aus Tigray sind ein wichtiger Indikator dafür, dass Kinder die Traumata des Konflikts verarbeiten. Dass sie wieder in die Lage versetzt werden, nach vorne zu schauen und sich eine Zukunft abseits von Gewalt und Vertreibung vorstellen können, ist eines der Ziele von psychosozialer Betreuung.

Plan International arbeitet in Tigray daran, die dringenden Kinderschutzbedarf zu decken, sowohl in den Gemeinschaften der vertriebenen Menschen als auch in den Aufnahmegemeinschaften. Das Programm wird von der US-amerikanischen Behörde für interntionale Entwicklung (USAID) unterstützt. Plan arbeitet mit freiwilligen Helfer:innen und Partnerorganisationen in Shire zusammen und bieten Betreuung, psychosoziale Unterstützung, Familienzusammenführungen und kinderfreundliche Einrichtungen in den Camps an. Außerdem führen wir Workshops zu positiver Erziehung durch, schärfen das Bewusstsein für Kinderschutzprobleme wie Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung. 

Dieser Artikel wurde mit Material aus dem äthiopischen Plan Büro erstellt.

Spenden für die Nothilfe

Weltweit nimmt die Zahl der Krisen zu: Hungersnöte, Krankheiten, Naturkatastrophen und Kriege bedrohen Gesundheit, Lebensgrundlagen und die Zukunft von Millionen Menschen. Gerade Kinder sind in unübersichtlichen Situationen der Not oft diejenigen Opfer, die am wenigsten Beachtung finden.

Durch eine Spende in unseren Nothilfe-Fonds können Sie Projekte wie die kinderfreundlichen Räume in Tigray unterstützen. Zum Beispiel helfen schon 24 € im Monat, eine Kinderschutzzone aufzubauen für eine professionelle Betreuung von traumatisierten Kindern. 

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