„Wie weit würden Sie für Wasser laufen?“

Foto: Jackson Njehia

Nasra und ihre Freundinnen stehen jeden Morgen um 4 Uhr auf – und begeben sich zu Fuß auf einen zwölf Kilometer langen Weg zum Wasserholen.

Die Nacht hat frische Kühle über das Land gebracht. Im grauen Zwielicht, das mit der Morgendämmerung die Ebenen im Nordosten Kenias erhellt, scheint der Tag Anlauf zu nehmen. „Ich wache um 4 Uhr auf, fege den Hof, wasche ab und koche Tee“, sagt Nasra, das zweite von fünf Kindern. Danach macht sie sich auf den Weg – zum zwölf Kilometer entfernten Fluss, dem Tana River im gleichnamigen Bezirk, um Wasser zu holen.

Ein Kessel mit Wasser kocht auf einer Feuerstelle
Ein Kessel mit Wasser köchelt auf der Feuerstelle Jackson Njehia
Nasra in ihrem Zuhause
Die zwölfjährige Nasra in ihrem Zuhause Jackson Njehia

Eine tägliche Prozedur

Auf dem Heimweg in ihr Dorf – noch einmal zwölf Kilometer weit – sind Nasra und ihre Freundinnen schwer beladen. Jede von ihnen transportiert täglich ein Fass mit Wasser, mal auf dem sandigen Boden rollend, mal tragend. Die Mädchen schultern die Last des Wasserholens für ihre Haushalte. Oben am Himmel steht da schon früh am Morgen die Sonne hoch – wie überall auf der Welt entlang des Äquators. Es wird sengend heiß.

„In der Schule kann ich mich kaum konzentrieren.“

Nasra (12), aus dem Tana River-Bezirk in Kenia

Wenn Nasra zu Hause ankommt und das lebenswichtige Wasser für ihre Familie abliefert, kommt sie entweder zu spät zur Schule oder sie ist zu müde und hungrig, um dorthin zu gehen. „Meistens bekomme ich Kopfschmerzen“, erzählt sie. „In der Schule kann ich mich dann kaum konzentrieren.“

Zwölf Kilometer über sandige Wege bis zum Tana Fluss
Zwölf Kilometer über sandige Wege bis zum Tana Fluss Jackson Njehia
Mit einem Fass voll Wasser kommt Nasra nach Hause
Mit einem Fass voll Wasser kommt Nasra nach Hause Jackson Njehia

Angespannte Versorgungslage

Obwohl es Nasra unter diesen Umständen schwerfällt, zur Schule zu gehen, rafft sie sich meistens doch dazu auf. Denn dies ist der einzige Ort, an dem ihr Nahrung garantiert wird. „In der Schule gibt es vormittags Brei und mittags Reis mit Bohnen. Das sind die einzigen Mahlzeiten, die ich für den Tag habe. Zu Hause gibt es nichts zu essen, dort trinken wir nur schwarzen Tee.“

„Zu Hause gibt es nichts zu essen.“

Nasra (12), aus dem Tana River-Bezirk in Kenia

Zwischen dem 4. März und dem 24. April 2022 bleiben die Schulen in Kenia geschlossen. Und das bedeutet, dass Kinder wie Nasra dann überhaupt keinen Zugang zu Essen haben. Überall in Ostafrika stockt Plan International in seinen Partnerländern lebensrettende Programme in den Bereichen Schulspeisung, Nahrungsmittelversorgung, Ernährung und Kinderschutz auf.

Nasras Mutter Obaluli
Nasras Mutter Obaluli Jackson Njehia
Verdurstetes Vieh im kenianischen Tana-River-County
Verdurstetes Vieh im kenianischen Tana River-Bezirk Jackson Njehia

Spuren der Dürre

„Unser ganzes Vieh ist gestorben, wir haben nichts zu essen“, beklagt Nasras Mutter Obaluli. „Die Schule war meine große Hoffnung, weil meine Kinder dort essen konnten. Jetzt weiß ich nicht, wie ich mich um sie kümmern soll.“

„Unser ganzes Vieh ist gestorben.“

Obaluli, Mutter von Nasra

Die Gemeinden im Tana River-Bezirk leiden unter akutem Wasser- und Nahrungsmittelmangel. Die extreme Dürre verwüstet weiterhin die Lebensgrundlagen der Hirten- und Bauerngemeinschaften.

Der Fluss Tana mäandert durch eine grüne Ebene
Trügerische Idylle: der Tana Fluss in Kenia Jackson Njehia

Die meisten Wasserreservoirs sind bereits Anfang 2021 ausgetrocknet, und die wenigen verbleibenden Quellen, wie der zwölf Kilometer entfernte Tana Fluss, werden durch die starke Beanspruchung vieler Familien, ihrem Vieh und den Wildtieren immer stärker dezimiert. Einige Gemeinden in der Küstenregion weiter östlich sind inzwischen dazu übergegangen, Salzwasser aus Bohrlöchern zu trinken.

Wenn Bildung vom Einkommen abhängt

Obaluli ist besorgt, dass Nasra nicht in die Schule zurückkehren kann, wenn diese wieder geöffnet wird. „Von meinen fünf Kindern gehen nur Nasra und ihr Bruder zur Schule. Ich habe nicht das Geld, um die anderen zu schicken. Es kann sein, dass Nasra die Schule abbrechen muss, bis wir wieder Geld haben.“

Zwei Holz-Sammlerinnen
Zwei Holz-Sammlerinnen Plan International
Dunia (13) ist wie Nasra im Tana-River-County zu Hause
Dunia (13) ist wie Nasra im Tana River-Bezirk zu Hause Plan International

„Meine Mutter verkauft Holzkohle, damit wir uns eine Mahlzeit leisten können. Ich helfe ihr beim Verkauf, aber an den meisten Tagen kauft niemand etwas, sodass wir hungrig schlafen gehen“, erzählt Nasra, die nachmittags eine weitere 24 Kilometer lange Strecke zum Fluss zurücklegen muss, um mehr Wasser zu holen – zum Waschen, Duschen und Kochen des Tees für den Abend und den nächsten Morgen.

Versorgungslücken schließen

In Kenia arbeitet Plan International in den Bezirken Tana River, Kilifi und Kwale daran, 4.875 Kindern an 16 Schulen eine tägliche Mahlzeit zukommen zu lassen. Außerdem unterstützen die Plan-Teams durch Wassertransporte den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Lagertanks sowie Reinigungstabletten für Wasser werden verteilt und damit 6.000 Menschen erreicht. „Wie weit würden Sie für Wasser laufen?“, fragt einer der beteiligten Plan-Mitarbeiter rhetorisch angesichts der ausgetrockneten Erde ringsum. Mit den ausbleibenden Niederschlägen wächst dort der Bedarf an Unterstützung.

Bei dem Kinderhilfswerk laufen daher Vorbereitungen, um mehr Familien unterstützen zu können und insbesondere Mädchen vor den Auswirkungen der anhaltenden Dürre zu bewahren. „Dazu bedarf es starker Partnerschaften und gemeinsamer Anstrengungen“, sagt der Kenianer Stephen Omollo, CEO von Plan International. Die verheerende Krise in der Ukraine, die bislang eine der wichtigsten Getreidelieferanten für Afrika war, dürfe nicht zu einer weiteren Verschärfung von Hunger und Unterernährung anderswo führen.

Kostbares Wasser, guter Tee
Kostbares Wasser, guter Tee Jackson Njehia
Nasra und ihre Mutter trinken Tee
Nasra und ihre Mutter trinken Tee Jackson Njehia

Eine kostbare Ressource

Die Sonne hat den Zenit längst verlassen, für heute haben Nasra und ihre Freundinnen genug getan. Sie kochen eine Kanne mit Flusswasser auf – die weit und breit kostbarste Ressource in ihrem Zuhause. Mit einem Becher heißen Tee ziehen sich die Mädchen schließlich in ihre Hütten zurück, während draußen mit der Dämmerung Abkühlung naht. Der gleißende Sonnenschein wechselt abends rasch in graues Zwielicht.

Marc Tornow arbeitete 2016 in Kenia und hat Nasras Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.

Hunger in Afrika: So können Sie helfen

Die Welt erlebt zurzeit eine der verheerendsten Hungerkrisen, die es je gab. Die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Es besteht ein dringender Bedarf an humanitärer Hilfe, um die Hungersnot abzuwenden. Wir von Plan International unterstützen mit unserer Hunger-Nothilfe Kinder und ihre Familien in acht unserer Programmländer, wo die Krise bereits ein dramatisches Ausmaß angenommen hat: In Äthiopien, Südsudan, Somalia, Kenia, Niger, Burkina Faso, Mali und auf Haiti. Wir stellen unter anderem dringend benötigte Lebensmittel zur Verfügung und ermöglichen medizinische Versorgung und Betreuung. Sie können uns dabei helfen – mit einer Spende!

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