
Wenn Zwangsehe die Kindheit raubt
Eigentlich hätte es ein fröhlicher Tag werden sollen, als Roumana mit ihrer Tante zum Tabaski-Fest, dem islamischen Opferfest, nach Togo zurückkehrte. Doch während andere tanzten, wurde das Leben der damals Zehnjährigen in eine Richtung gedrängt, die sie selbst nie gewählt hätte.
„Meine Tante wollte mich zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht kannte“, erinnert sich Roumana heute. Sie wurde in ein fremdes Haus gebracht, ohne die Möglichkeit zu verstehen oder zu entkommen. Erst als ihre Eltern davon erfuhren und bei der Polizei Anzeige erstatteten, durfte sie zurückkehren. Der Mann wurde verhaftet, doch das Erlebnis hinterließ tiefe Spuren.
Kurz vor dem Weltmädchentag, der – auf Initiative von Plan International – weltweit am 11. Oktober auf die Rechte von Mädchen aufmerksam macht – wird umso deutlicher, wie verletzlich Mädchenrechte in vielen Regionen noch sind.


Kinderheirat: ein tief verwurzeltes Problem
Roumanas Erfahrung steht stellvertretend für viele Mädchen in Togo. Obwohl das gesetzliche Mindestalter für die Ehe bei 18 Jahren liegt, wird fast jedes vierte Mädchen früher verheiratet. Besonders in ländlichen Regionen halten sich die Traditionen: Armut, fehlender Zugang zu Bildung und überholte Vorstellungen von Geschlechterrollen bestimmen das Leben junger Mädchen. Viele Familien in wirtschaftlich schwachen Regionen sehen die frühe Heirat ihrer Töchter oft als einzigen Ausweg aus der Armut. Dementsprechend wird auch kaum Geld in ihre Bildung investiert – was den Mädchen jedoch die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben nimmt.
Unterstützung in schwierigen Zeiten
Für Roumana begann nach ihrer Heimreise der mühsame Weg zurück in den Alltag. Das Erlebnis hätte sie dauerhaft traumatisieren können. Doch sie hatte Glück: Plan International und seine lokale Partnerorganisation Action Sociale standen ihr unter anderem mit psychosozialer Unterstützung zur Seite. Eingebettet ist diese Hilfe in ein größeres Projekt, das nicht nur gegen Kinderheirat und geschlechtsspezifische Gewalt vorgeht, sondern auch echte Alternativen zur Zwangsehe schafft: durch Bildung, rechtliche Beratung und berufliche Perspektiven. „Es reicht nicht, Mädchen nur zu befreien. Sie brauchen Möglichkeiten, sich ein neues Leben aufzubauen“, betont eine Mitarbeiterin von Action Sociale.


Ein einfacher Wunsch
Eben diese Perspektiven gibt das Togo-Projekt den Mädchen an die Hand. Als Roumana gefragt wurde, was sie sich für ihre Zukunft wünsche, zögerte sie nicht: Sie wollte nähen lernen. Dank der Unterstützung erhielt sie eine Lehrstelle und eine eigene Nähmaschine. Heute, mit 17 Jahren, arbeitet sie selbstständig. „Ich bin stolz darauf, Schneiderin zu sein“, erzählt sie. „Die Leute bringen mir ihre Kleidung, und ich verdiene ein wenig Geld. Das gibt mir Mut.“
„Erst als ich selbst von Kinderheirat betroffen war, habe ich verstanden, was es bedeutet: die Angst, die Traurigkeit und den Verlust der Freiheit.“
Überleben reicht nicht
Roumanas Weg zeigt: Gesetze allein können Kinderheirat nicht beenden. Der entscheidende Faktor ist die Unterstützung in den Gemeinden: von Eltern, Lehrerinnen, Dorfältesten und religiösen Oberhäuptern. Nur wenn Traditionen hinterfragt werden, kann sich wirklich etwas ändern.
Projekte wie das von Plan International wirken deshalb auf mehreren Ebenen: Sie schützen gefährdete Mädchen, begleiten Betroffene und sensibilisieren gleichzeitig die Gesellschaft. So entsteht ein Netzwerk, das Kinderheirat nicht nur bekämpft, sondern auch langfristig verhindert. Kinderheirat bedeutet mehr als ein frühes Ja-Wort. Sie zerstört Träume, nimmt Mädchen die Chance auf Bildung und macht sie oft abhängig von ihren Ehemännern. Die Folgen reichen von häuslicher Gewalt über gesundheitliche Risiken bei einer frühen Geburt bis hin zu lebenslanger Armut.


Fortschritte und offene Fragen
Die Regierung in Togo hat Maßnahmen eingeführt, um Kinderheirat zu bekämpfen. Dazu gehören kostenlose Grundschulbildung und rechtliche Schritte gegen Zwangsehen. Doch Gesetze und Richtlinien reichen nicht aus, wenn es an deren konsequenter Umsetzung im Alltag scheitert. Viele Mädchen, die aus einer Zwangsehe befreit werden, stehen wie Roumana vor der Frage: Wie geht es weiter? Ohne Schul- oder Berufsausbildung bleiben sie verletzlich und laufen Gefahr, erneut in Abhängigkeit zu geraten. Plan International setzt sich zusammen mit seinen Partnern dafür ein, Mädchen zu stärken und ihnen die Chance auf Bildung zu ermöglichen – in Togo und in vielen weiteren Ländern, in denen die Rechte von Mädchen missachtet werden.
Die Geschichte von Roumana wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Togo aufgeschrieben.