In den Bergen Nordvietnams wollen Kinder Kind sein

Foto: Anika Büssemeier

54 ethnische Minoritäten zählt Vietnam – darunter die H'mong. Deren Töchter machen sich jetzt für ihre Rechte stark.

Der Auftrieb im Festzelt überwältig Dung komplett. Die 15-Jährige hätte nie gedacht, dass sie in einer Menschenmenge derart auffallen würde. Doch als Mitglied des Kinderrats im nordvietnamesischen Ha Giang hat sie heute das Wort. In ihrer Rolle als Mitglied beim Jugendclub „Champions of Change“ setzt sie sich für die Abschaffung von Früh-, Kinder- und Zwangsheirat in ihrer Gemeinde ein. Welche Herausforderungen diese mit sich bringen, weiß das Mädchen aus eigener Anschauung. Und an diesem besonderen Tag, wo sie vor gleich mehreren Schulklassen sprechen wird, hat sie sich die prachtvollen Kleider ihrer Volksgruppe angezogen und den traditionellen Silberschmuck angelegt.

Ein Mädchen in traditioneller H'Mong-Bekleidung
Dung (15) zählt zur ethnischen Minderheit der H'Mong im Norden Vietnams und ist Mitglied im „Champions of Change“-Club Plan International
Dutzende Schulkinder sitzen unter einem Zeltdach
Über die gravierenden Folgen von Kinderehe und Zwangsheirat informieren die Mitglieder des „Champions of Change“-Club andere Kinder aus ihrer Gemeinde Plan International

Dung ist Angehörige der indigenen Volksgruppe der H'mong. Ihre Eltern bekamen sie, noch bevor sie selbst gesetzlich alt genug für eine Heirat waren: als Teenager. Frühe und Kinderheirat sind bei ethnischen Minoritäten in Vietnam verbreitet. Dungs Großmutter sagte mal zu ihrer Enkelin: „Deine Mutter wusste nicht, wie man kocht oder ein Baby hält als sie zur Braut wurde.“

„Deine Mutter wusste nicht, wie man kocht oder ein Baby hält als sie zur Braut wurde.“

Dungs Großmutter

Verantwortlich für Feld- und Hausarbeit, anstatt Schule

Dung ist das älteste von fünf Kindern und für die Betreuung ihrer jüngeren Geschwister zuständig. Außerdem ist sie für verschiedene Aufgaben auf dem Hof und im Haushalt verantwortlich. Schon frühzeitig ahnte das Mädchen, was auch ihre Familie von ihr erwartete: Bald heiraten und eine eigene Familie gründen. Denn ihre Eltern schienen immer dann am stolzesten auf ihre Tochter zu sein, wenn sie die Hausarbeit erledigte. Und sie sagten ihr, dass sie eines Tages eine gute Ehefrau sein würde.

Tatsächlich bemühte sich Dungs Familie darum, das älteste Kind davon abzuhalten, weiter die Oberstufe zu besuchen oder an außerschulischen Aktivitäten teilzunehmen. Sie legten stattdessen ihr Erspartes lieber für Dungs kleinen Bruder zurück, der einzige männliche Nachkomme in der Familie. Trotzdem war Dung entschlossen, ihr Bestes in der Schule zu geben – und gewann ein Schulstipendium für Kinder ethnischer Minoritäten, mit dem sie schließlich doch weiterlernen konnte.

Zwei junge H'Mong-Mädchen
Dung (l.) mit einer Freundin aus dem „Champions of Change“-Club Plan International

„Ich hatte erlebt, wie schnell sich der Gesundheitszustand meiner Mutter verschlechtern konnte und verstand daher die Schwierigkeiten, die junge Frauen bei einer Schwangerschaft durchmachen.“

Dung (15), Mitglied im „Champions of Change“-Club

Junge Menschen werden Champions des Wandels

Als Plan International an ihrer Schule einen „Champions of Change“-Club gründete, trat sie diesem bei. Hier konnte Dung endlich Gleichaltrige treffen, sich austauschen und mehr über die Rechte von Kindern erfahren, zu denen auch jene auf Versorgung, Spiel und Freizeit gehören. Die jungen Clubmitglieder werden als sogenannte „Champions des Wandels“ dazu befähigt, sich gegen Kinder-, Früh- und Zwangsheirat zu engagieren – ein Thema, das der 15-Jährigen sehr am Herzen liegt. Mehr noch, als sie erfuhr, welche negativen Auswirkungen eine frühe Heirat für Minderjährige hat.

„Ich hatte erlebt, wie schnell sich der Gesundheitszustand meiner Mutter verschlechtern konnte und verstand daher die Schwierigkeiten, die junge Frauen bei einer Schwangerschaft durchmachen. Ich beschloss, meine Stimme zu erheben, um andere Kinder und Erwachsene dabei zu unterstützen, schädliche Praktiken zu hinterfragen“, sagt Dung. Dass solch ein Engagement möglich ist, liegt auch an dem Projekt „Time to Act! – Zeit zum Handeln“, mit dem Plan International in der Provinz Ha Giang Aktivismus und Fürsprache bei jungen Leuten unterstützt.

Kinder notieren ihre Wünsche
Mädchen und Jungen notieren ihre Wünsche für eine geschützte Kindheit Plan International
Schulkinder sitzen in einem Festzelt
Schulkinder hören der Präsentation von Dung und anderen „Champions des Wandels“ zu Plan International

Vom einfachen Clubmitglied zur Veranstaltungsmoderatorin

Als Dung gebeten wurde, eine „Champions of Change“-Sitzung für junge Menschen in ihrem Dorf zu leiten, war sie zunächst nervös, da viele andere Teilnehmende älter waren als sie selbst. „Einige waren bereits verheiratet und hatten ihre Kinder mitgebracht. Ich war ziemlich erschüttert, habe mich aber wieder gefangen und ein Aufwärmspiel für alle organisiert“, erzählt Dung. „Als ich sah, wie sie lachten und Spaß hatten, wurde mir klar, dass auch ich ein Teil ihrer Gemeinschaft war. Also machte ich weiter und nutzte unsere H’Mong-Sprache, um ihnen die Geschichte meiner Mutter und meiner eigenen Kindheit zu erzählen. Diese Sensibilisierung war erfolgreicher, als ich erwartet hätte.“

Nach dem Erfolg bei ihrer ersten Sitzung als Leiterin verbesserte Dung ihre Fähigkeiten der öffentlichen Rede weiter – bis sie als Moderatorin bei Veranstaltungen und mühelos vor vielen Schulkindern gleichzeitig auftrat. Sie wurde von den Clubmitgliedern ermutigt, auch auf andere Mädchen, die von einer Kinderehe bedroht waren, zuzugehen und mit ihnen über die Gefahren zu sprechen. Dung berichtete den anderen Kindern von ihren Erfahrungen, den eingeschränkten Bildungschancen, den gesundheitlichen Schwierigkeiten und der anhaltenden Armut, wenn Kinder verheiratet werden. Zwei Mädchen vermittelte sie an Lehrkräfte in ihrem Dorf, die den Schülerinnen wiederum dabei halfen, ihre Heirat zu verhindern.

Ein Haus steht in einer Berglandschaft
Dorflandschaft in den Bergen von Ha Giang Marc Tornow
Drei junge Vietnamesinnen haben sich extra traditionelle Kleider angezogen
Drei H'Mong-Mädchen bei einem „Champions of Change“-Event Plan International

Zukunftschancen in den Bergen von Ha Giang

Dungs Beobachtungsgabe und ihre Fähigkeit, sich auf verschiedene Gruppen und Situationen einzustellen, fiel irgendwann auch ihrer Klassenlehrerin auf. Als Dung immer mehr Selbstvertrauen als Leiterin einer Jugendgruppe gewonnen hatte, wurde sie dem Kinderrat des Distrikts vorgestellt – und eines seiner jüngsten Mitglieder.

Zu ihrer ersten Kinderratssitzung befragt, sagt sie: „Ich war natürlich aufgeregt. Aber meine Aufgabe hat darin bestanden, die Probleme der Kinder in meiner Gemeinde ehrlich darzustellen und den Verantwortlichen ihre Wünsche zu berichten. Früher hatte meine Mutter mir beigebracht, dass Mädchen gut in der Haus- und Landarbeit sein sollten, damit sie heiraten und Kinder bekommen können. Aber jetzt weiß ich, dass ich mehr tun kann.“

„Eines Tages werde ich eine Führungs-Persönlichkeit sein und mehr für die Kinder in meiner Gemeinde tun können.“

Dung (15), H'Mong-Mädchen im Norden Vietnams

Einer ihrer größten Wünsche ist es, die Oberschule erfolgreich abzuschließen und dann an einer Universität zu studieren. Danach möchte Dung in ihr Dorf zurückkehren und nach Möglichkeit bei der Lokalverwaltung arbeiten. Und während sie sich auf den Heimweg macht, um die sechs Kühe der Familie noch zu versorgen und für ihre Geschwister zu kochen, sagt sie stolz: „Eines Tages werde ich eine Führungspersönlichkeit sein und mehr für die Kinder in meiner Gemeinde tun können. Als Leiterin wird es meine Priorität sein, schädliche Praktiken und die Kinderheirat zu beseitigen.“

Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert und Vietnam mehrfach besucht. Die Geschichte von Dung wurde mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.

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Mit unseren Projekten tragen wir von Plan International in Vietnam dazu bei, Mädchen und Jungen in der Schule zu behalten, damit sie ihre Ausbildung abschließen und Zugang zu guten Arbeitsmöglichkeiten erhalten. Bildung ist ein wirksames Mittel, um den Kreislauf der Armut zu durchbrechen und sicherzustellen, dass insbesondere Mädchen nicht früh heiraten oder Kinder bekommen.

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