Die Suche nach Schutz vor der Flut

Foto: Isabelle Baguisi

Katastrophen wie Stürme und Überschwemmungen treffen Kinder auf den Philippinen häufig besonders hart. Oft von politischen Entscheidungen ausgeschlossen, finden sie sich nun zusammen, um das zu ändern.

Catherine und ihre Familie haben eine Naturkatastrophe überlebt. Als Betroffene von Tropensturm Ketsana haben sie die Folgen von Erdrutschen, Überschwemmungen und Zerstörung in ihrer Nachbarschaft unmittelbar erfahren müssen. Mit über 100 Stundenkilometern hatte der Wirbelsturm Ketsana die Region um die philippinische Hauptstadt Manila 2009 getroffen. Weniger der Wind als viel mehr die gewaltigen Regenmengen hatten damals auf der gesamten Hauptinsel Luzon sowie den Visayas Inseln verheerende Auswirkungen gehabt. Bis zum Abklingen des Sturms stieg die Zahl der Betroffenen immer weiter. Am Ende zählten die Behörden 4.901.234 Personen, die vom lokal Taifun Ondoy genannten Wirbelsturm betroffen waren. Viele von ihnen verloren ihren Besitz und ihr Zuhause – 70.124 Personen mussten in Sicherheit gebracht werden, 464 starben.

Risikozonen identifizieren

Die 19-jährige Catherine will nun dazu beitragen, ihre Gemeinde besser auf künftige Stürme und Überschwemmungen vorzubereiten. Gemeinsam mit anderen Philippiner:innen macht sie bei einem Projekt von Plan International mit, das sich mit Hochwassersicherheit beschäftigt. Wo liegen die Problemzonen in den Gemeinden? Welche Vorkehrungen und Maßnahmen kann jede einzelne Familie treffen? In Workshops findet Catherine Antworten. Die Teilnehmer:innen ermitteln bestehende Risiken und entwickeln Lösungswege für wetterbedingte Notfälle. Die Besonderheit bei diesen Trainings: Die Jugend steht hier im Mittelpunkt.

Gruppe Jugendlicher arbeitet über eine Straßenkarte gebeugt zusammen
Catherine (19, Mitte) nimmt an einem Workshop zur Risikokartierung in ihrer Gemeinde teil Lourence Gamboa
Überflutete Straße mit Palmen im Hintergrund
In Manila kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen, der Klimawandel verstärkt das Hochwasserrisiko Joice Balicog
Drei junge Kinder am Tisch über eine Karte gebeugt
Neben den Jugendlichen werden auch Kinder nach ihrer Meinung gefragt – und tragen so zur Katastrophenprävention bei Isabelle Baguisi

Mitspracherecht im Ausnahmezustand

Vor allem junge Menschen sind von Naturkatastrophen betroffen, das ergab eine im Rahmen des Projekts von Plan International durchführte Untersuchung. Obwohl sie regelmäßig Überschwemmungen ausgesetzt sind, werden Kinder und Jugendliche seltener in die Katastrophenplanung einbezogen, so zum Beispiel bei Evakuierungsplänen. Um sicherzustellen, dass sie ein größeres Mitspracherecht bekommen, entwickelte das Projektteam ein jugendzentriertes, gemeindebasiertes Schulungsprogramm. Neben grundlegenden Menschen- und Kinderrechten, stehen hier vor allem Konzepte zur Katastrophenvorsorge und -bewältigung auf der Agenda.

Um die 20- bis 40-köpfigen Workshopgruppen „bei der Stange“ zu halten, ist Kreativität gefragt. Informative Vorträge wechseln sich mit interaktiven Spielen ab. Auch zeichnen, singen und Rollenspiele vermitteln den Teilnehmer:innen das nötige Know-how in Sachen Katastrophenschutz. Catherine lernt dabei, was es heißt, Führung in Projekten zu übernehmen, wie sie in Ausnahmesituationen angesichts von drohenden Überschwemmungen kommunizieren sowie für ihre Rechte und Interessen einstehen kann.

„Junge Menschen müssen in der Regel auf Erwachsene hören.“

Aires (19), Projektteilnehmerin

„Junge Menschen müssen in der Regel still auf Erwachsene und Gemeindevorsteher hören, die über alle Maßnahmen entscheiden“, erklärt Aires (19), eine weitere Projektteilnehmerin aus einer Küstengemeinde in Manila. Es ist das erste Katastrophenrisikoprojekt, an dem sie teilnimmt. „Gemeinschaftsprojekte konzentrieren sich in der Regel auf Eltern oder Erziehungsberechtigte, nicht auf uns junge Menschen.“ Dass sich das nun ändert, findet sie gut.

Steigendes Risiko durch Klimawandel

Die vielen Küstenregionen der mehr als 7000 philippinischen Inseln sind besonders von Stürmen und Hochwasser bedroht. Der Klimawandel verstärkt dieses Risiko stetig, weshalb Vorkehrungsmaßnahmen existenziell sind. Auch 2022 zogen extreme Niederschläge und Unwetter starke Überflutungen auf den Philippinen nach sich – und das sogar außerhalb der Regenzeit.

Aires und Catherines Region war dabei dieses Mal nicht betroffen. Doch in ihrer Heimatregion häufen sich die Überschwemmungen. In beiden Projektgebieten in der Hauptstadtregion handelt es sich um bebaute Stadtgebiete, die an Flüssen oder Küstengewässern liegen. Viele der lokalen Wasserstraßen sind durch die nahe gelegene Industrie verschmutzt und gelten als „biologisch tot“. Deshalb werden auch Klima- und Umweltfragen in den Schulungen thematisiert.

Wie Catherines wurde auch Aires Leben in der Vergangenheit durch Überschwemmungen eingeschränkt: Sie konnte einige Zeit nicht zur Schule gehen. „Meine eigene Familie hat die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen – die Überschwemmungen werden schlimmer und unvorhersehbarer, und die Fischerei leidet darunter“, berichtet Aires.

„Das Projekt ist großartig, weil wir die Chance haben, etwas über Dinge zu lernen, die wir normalerweise nicht wahrnehmen. Die Schulung war eine große Hilfe für uns junge Leute – vor allem, weil wir gerade erst anfangen, etwas über Umweltschutz zu lernen,“ ergänzt Catherine. „So können wir dazu beitragen, unsere Gemeinde zu einem sicheren und friedlichen Ort zu machen.“

Junge Frau mit Mikrofon vor einem Präsentationsplakat
Aires (19) präsentiert ihren „Problembaum“, der die Ursachen und Auswirkungen schwerer Überschwemmungen zeigt Joy Quito

„Meine eigene Familie hat die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen.“

Aires (19), ist im Katastrophenschutz aktiv
Nahaufnahme einer Straßenkarte mit zwei Paar Händen
Auf Straßenkarten markieren die Projektteilnehmer:innen Problem- und Risikozonen Isabelle Baguisi

Sensibilisierung durch junge Stimmen

Durch die Workshops konnten Aires und Catherine Notfalltaschen zusammenstellen und Katastrophenschutzpläne für ihre Familien entwickeln, die sie bei zukünftigen Stürmen befolgen können. Risikokarten zeigen an, welche Routen und Orte im Notfall sicher sind. Außerdem haben sie an Notfallplänen für ihre weitere Gemeinde mitgearbeitet. Damit diese nun auch breitflächig um- und eingesetzt werden, setzen sie sich bei ihrer Kommunalpolitik ein.

Isabelle Baguisi, Projektleiterin für Hochwasserschutz bei Plan International, setzt auf mehr Wohlwollen vonseiten der Politik: „Wir hoffen, Einfluss auf die Pläne der Politik zu nehmen, damit das Engagement für junge Menschen verstärkt wird, ihre Beteiligung zu fördern, und um die Kapazitäten junger Menschen weiter auszubauen.“

Das Fachwissen der jungen Generation erschließen

Worin die jungen Menschen aber schon jetzt versiert sind ist das Internet. Ziel des Projekts ist es daher, diese Kentnisse auch für den Katastrophenschutz in der Gemeinde zu nutzen. Für Catherine ist es wichtig, Plattformen zu schaffen, auf denen die Jugend eine aktive Rolle übernehmen kann. „Die Erfahrung und das bessere Verständnis junger Menschen für das Internet und die digitale Technologie ist eine Möglichkeit, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten.“

Die Workshops tragen zudem auch auf persönlicher Ebene Früchte: Die Projektteilnehmer:innen teilen das Erlernte in ihrem Umfeld. Als sogenannte „Youth Leaders“ sensibilisieren Catherine und Aires ihre Familienmitglieder und Freund:innen für Hochwassersicherheit und Überschwemmungsschutz – Themen, die ihnen am Herzen liegen. „Ich sorge dafür, dass wir jungen Menschen gesehen werden. Auch diejenigen, die gar nicht zur Schule gehen – sie haben hier die Chance, mitzumachen“, sagt Aires. Sie und ihre Mitstreiterin werben andere Jugendliche, sich ebenfalls einzubringen und dadurch selbst etwas zu bewegen. „Ich habe sogar meine jüngeren Geschwister davon überzeugt.“

Gruppe Jugendlicher über eine Karte gebeugt
Neues Wissen zum Katastrophenschutz tauschen die Jugendlichen untereinander aus Isabelle Baguisi

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