
Hello Portia, I am Kwame
Volker Sieber und seine Frau sind beeindruckt von dem Leben in Ghana, das sie während einer Rundreise kennenlernten. Vieles erschien den Pat:innen aus Ulm fremd und interessant zugleich. Umso neugieriger waren sie auf das Treffen mit ihrem zwölfjährigen Patenkind Portia in der Ost-Volta-Region. Volker Sieber berichtet:
Patenkindbesuch bei Portia
Accra 4:45 Uhr: Der Wecker meines Handys erlöst uns von einer unruhigen Nacht. Heute ist endlich der Besuchstag bei unserem Patenkind Portia, einem zwölfjährigen Mädchen in Ghana. Wir spüren die Nähe des Äquators. Die hohe Luftfeuchtigkeit während der Regenzeit zwingt uns, einen Gang zurück zu schalten. Vieles ist uns fremd und interessant zugleich. Uns erstaunt wie die Menschen hier mit einigen wenigen Vornamen auskommen. Wir erfahren, dass der Name durch den Wochentag der Geburt bestimmt wird. In Ghana geboren würde ich Kwame heißen und meine Frau Afua. Irgendwie kommt mir Robinson Crusoes Freitag in den Sinn.
Neuer Tag voller Kontraste
Pünktlich 6:30 Uhr betreten wir das Länder-Büro von Plan in Ghana. Die Hilfsorganisation organisiert unsere Patenschaft und auch den heutigen Besuch. Ein freundlicher Herr, der sich als George vorstellt, erläutert uns, dass alles vorbereitet ist. Dann geht es plötzlich ganz schnell und wir finden uns in einem Toyota Land Cruiser wieder, der uns mit Sack und Pack 250 km ins Landesinnere in die Ost-Volta-Region bringen wird. Auf den Straßen von Ghanas Hauptstadt erwacht gerade der neue Tag. An den Tro-Tro Stationen versammeln sich die Menschen, um einen Platz in einem der beliebten weil billigen Kleinbusse zu bekommen. Marktfrauen eröffnen ihre Stände. Ein junger Mann ist gerade mit Zähneputzen beschäftigt. Was uns auffällt ist die gepflegte Kleidung der Menschen, die einen verblüffenden Kontrast zum Zustand vieler Straßen und Häuser bildet. Schon bald haben wir den Stadtrand von Accra erreicht.
Faszinierendes Treiben
Nach etwa zwei Stunden überqueren wir bei Atimpoku den Voltafluss, der wenig oberhalb von hier in den größten Stausee der Welt gezwängt wird. Jenseits der riesigen Stahlhängebrücke beginnt das Gebiet der Volksgruppe der Ewe, zu der auch die Familie unseres Patenkindes Portia gehört. Die Landschaft ist bergig geworden. Wälder und Grasmatten bedecken die Berge und Hügel in einer verblüffenden Ähnlichkeit zu unserem Allgäu. Nur die Fichten sind durch Palmen ersetzt. Hier und da stößt ein schroffer Felsgrad durch die immergrüne Vegetation. Wir passieren zahlreiche Dörfer. Die Häuser sind niedrig, oft mit Lehm verputzt, einige wenige blau oder rosa gestrichen. Dazwischen bunte Menschen, das Leben in Ghana findet im Freien statt. Die Straßen sind von Schlaglöchern zersetzt. Manchmal fehlt der Belag ganz und wir holpern über die vom Regen zerfurchte rostrote Erde. Charles, unser Fahrer zeigt sein ganzes Können. Straßenhändlerinnen bieten uns ihre Waren an, die sie in großen Schüsseln auf dem Kopf balancieren. Mineralwasser, gebrannte Tigernüsse, angeblich gut für die Potenz, oder selbst gebackene Köstlichkeiten werden durch das offene Fenster herein gereicht. Trotz der Holperei werden wir nicht müde, dem faszinierenden Treiben am Straßenrand zuzuschauen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Nach zwei weiteren Stunden erreichen wir endlich die Distrikt-Hauptstadt Hohoe. Hier treffen wir Cynthia, die Patenschafts-Koordinatorin von Plan. Cynthia weiß, was wir jetzt dringend brauchen, ein Frühstück für den von der Fahrt flauen Magen. Ein Gemüseomelett bringt uns wieder in Form. Danach stellt sie uns die Projekte in der Region vor. 'Hilfe zur Selbsthilfe' könnte als Überschrift über den vielfältigen Engagements von Plan in Ghana stehen. Dieses Konzept war auch für uns ausschlaggebend, als wir uns vor vier Jahren für die Übernahme einer Kinderpatenschaft bei Plan entschieden. Körperlich und mental gestärkt begeben wir uns schließlich auf den Weg ins Dorf unseres Patenkindes. Nach einer halbstündigen Fahrt durch tropischen Regenwald haben wir es erreicht.
Herzlicher Chief mit deutschem Hintergrund
Wir treffen Cornelius, den Patron des hiesigen Plan-Kinder-Clubs. Seinen Namen kenne ich schon von den Unterschriften unter Portias Briefen. Nun lernen wir ihn persönlich kennen. Er empfängt uns herzlich mit einem breiten Lachen. Doch bevor wir die Patenkindfamilie treffen, steht zunächst der Besuch beim Chief (vergleichbar mit dem Dorfältesten) auf der Agenda. Dies gebietet die Tradition und ist eine besondere Ehre für uns. Der Chief empfängt uns würdevoll und festlich gekleidet in seinem Sessel. Die Plan-Mitarbeiter übernehmen die gegenseitige Vorstellung. Cynthia trägt den Grund unseres Besuches vor. Alles scheint nach einem vorgeschriebenen Ritual abzulaufen.
Als ich jedoch den Chief mit Handschlag und: „Ngdo na wo, togbe“ in Ewe begrüße, was soviel heißt wie „Guten Tag, Herr“, ist das Eis gebrochen. Der Chief schlägt sich vor Begeisterung auf die Schenkel. Alles hatte er erwartet, nur nicht einige Brocken in seiner Sprache (die mir ein ghanaischer Student von der Uni Frankfurt über Skype beigebracht hatte). Sichtlich bewegt erzählt mir der Chief, dass sein Großvater noch eine deutsche Schule besucht und fließend Deutsch gesprochen hätte. Auf seine Frage hin, ob wir nicht zurückkommen wollen, wird mir schlagartig bewusst, dass wir uns hier auf dem Boden der ehemaligen deutschen Kolonie Togoland befinden. Wir werden offenbar nicht nur als Besucher eines Patenkindes gesehen, sondern auch als Vertreter einer Nation, die hier vor dem Ersten Weltkrieg über 30 Jahre die koloniale Verwaltung inne hatte und in dieser Rolle sowohl für Aufschwung als auch für Enttäuschungen sorgte.
Bist Du aufgeregt?
Nach der sehr herzlichen Verabschiedung beim Chief ist der Weg zu unserem Patenkind frei. Vor ihrem Haus unter einem riesigen Baum erwartet uns die Familie. Etwa 25 Personen haben sich versammelt. Portia, die wir bisher nur von Fotos kennen, schließen wir gleich in die Arme. Dann nehmen wir alle im kühlenden Schatten des Baumes Platz. Portias Familie hat einen der Onkel zum Sprecher bestellt, der sich nun der Vorstellung der einzelnen Personen annimmt. Portia sitzt etwas eingeschüchtert neben mir. „Bist Du aufgeregt?“, flüstere ich. „Ja“, kommt es leise zurück. „Ich auch“, sage ich und nehme beruhigend ihre kleine Hand. So haben wir schon etwas gemeinsam und ich ernte eine dankbaren Blick. Nach der Vorstellung kommen wir mit der Familie ins Gespräch, was wir von Ghana schon gesehen hätten, wie wir die Menschen fänden und was wir in Deutschland machen. Wieder entpuppt sich mein bisschen Ewe als wundersamer Helfer, der manches Lachen auslöst. Aber zum Glück können alle auch Englisch.
Farbenfrohe Geschenke und ein berührender Abschied
Portia darf jetzt unsere Geschenke auspacken. Mit besonderem Erstaunen wird eine Kinderbibel begrüßt, die in vier Sprachen verfasst ist, darunter auch Ewe. Die Bibel mit Zeichnungen von deutschen und ghanaischen Kindern hatte ich bei der Bremer Norddeutschen Mission aufgetrieben. Den Gebrauch des mitgebrachten Malkastens musste ich Portia erst erklären. Gemeinsam malen wir den Afadjato Mountain, den nahe gelegenen höchsten Berg Ghanas. Währenddessen beginnen sich riesige Schüsseln vor unseren Füßen aneinander zu reihen, alles Geschenke für uns. Von der Fülle an Melonen, Yams, Papayays, Mangos, Ananas, Bananen und der damit verbundenen Herzlichkeit sind wir überwältigt. Schweren Herzens heißt es schließlich Abschied nehmen.
Wir begeben uns auf einen Rundgang durch das Dorf, wo uns Cornelius die Plan-Projekte zeigt. Im Kinderclub hat sich ein Gruppe Mädchen versammelt. Kichernd betrachten sie uns neugierig. Ich übergebe eine Weltkarte für Kinder in englischer Sprache. Sie wird ihren Platz in der Schulbibliothek bekommen und dort allen Schülern zur Verfügung stehen. Das Gebäude der Grundschule ist von breiten Rissen durchzogen. Stolz zeigt uns Cynthia nebendran die bereits ausgehobenen Fundamente für den Neubau. Wenn wir im nächsten Jahr wiederkommen, sei die Schule fertig, verspricht sie uns. Portia ist während des Rundganges nicht von unserer Seite gewichen. Ich weiß jetzt, dass sie in der zweiten Schulbank von vorn sitzt. Ein letztes Mal können wir sie in die Arme schließen. Sichtlich berührt verlassenen wir das Dorf. Was uns bleibt sind unvergessliche Stunden und die Erfahrung, dass Patenschaft auch über tausende Kilometer hinweg sehr persönlich und lebendig gestaltet werden kann.