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Mit Gütern beladen laufen Grenzgänger zurück nach Venezuela. © Foto: Plan/Anika Büssemeier
15.08.2019 - von Marc Tornow

Ein paar Pesos für nichts

Tausende Menschen kommen täglich aus Venezuela über die Grenze nach Kolumbien. In der Provinzhauptstadt Cúcuta kaufen sie ein, besuchen Ärzte, einige studieren sogar im Nachbarland. Aber nicht alle kehren am Abend auch wieder zurück.


Der kleine Grenzverkehr zwischen Venezuela und Kolumbien ist legal und beliebt. Seit Jahrzehnten schon können sich die Menschen frei zwischen den beiden Staaten bewegen – solange sie in den Grenzregionen bleiben. In den 1990er-Jahren, als die FARC-Guerilla und rechte Paramilitärs Kolumbien mit Raub und Mord terrorisierten, strömten viele Kolumbianer hinüber nach Venezuela. Sie suchten Schutz und Nahrungsmittel. Heute haben sich die Verhältnisse gedreht, weil viele Läden in Venezuela leer sind.

Die Sonne brennt und ein seichter Wind sorgt für etwas Abkühlung. Unten im Tal laufen Tausende über die Brücke Simón Bolívar und über den Grenzfluss Táchira hinweg. Sie sind unterwegs zurück nach Venezuela, bepackt mit Säcken voller Reis, Mehl oder Mais. Sie tragen Ballen voller Toilettenpapier auf dem Rücken oder schieben Cola-Flaschen auf Handkarren vor sich her. Zu Fuß pendeln sie zwischen den Ländern, kaufen hüben ein, verkaufen drüben wieder. Ein paar Pesos Gewinn, ein Päckchen Zigaretten springen für die Kulis dabei heraus.

Diejenigen, die in Kolumbien bleiben, sind dort meist nicht registriert. Sie verfügen weder über einen Ausweis, noch einen Reisepass. Der kostet in Venezuela zurzeit 1.000 US-Dollar – der staatlich festgesetzte Monatslohn beträgt jedoch umgerechnet 5 US-Dollar. 1,5 Millionen Menschen aus Venezuela sind laut der Stadtverwaltung in Cúcuta allein nach Kolumbien migriert. Dort haben sie ohne einen offiziellen Flüchtlingsstatus aber kein Anrecht auf Wohnraum, Arbeit oder eine ärztliche Behandlung. Nur medizinische Notfälle werden von den überlasteten kolumbianischen Krankenhäusern übernommen.

Zwischen den von Bäumen geschmückten Alleen der kolumbianischen Provinzhauptstadt wandeln Geflüchtete aus Venezuela. Springen die Verkehrsampeln etwa an der mondänen Einkaufsstraße Calle-10 auf Rot, versuchen junge Männer als Fensterputzer ihr Glück; andere musizieren zwischen den wartenden Autos. Es gibt volkstümliche Lieder zu hören oder derben Hip Hop mit politischen Botschaften gegen die Missstände auf der östlichen Seite der Grenze. Wenn die Jungs Glück haben, wirft irgendjemand ein paar Pesos aus dem Fenster. Eine Existenz, die praktisch auf dem Nichts begründet ist.

Andere versuchen sich als Haushaltshilfen – und werden von den kolumbianischen Arbeitgebern oftmals ausgenutzt. Mal schuften die Mädchen einen ganzen Monat lang, ohne dann einen Peso zu sehen, mal kommt es zu sexuellen Avancen und Übergriffen. Die Polizei kann in beiden Fällen nicht gerufen werden, eben weil die meisten hier illegal leben.

Yenisbett und Denisbett – 27-jährige Zwillingsschwestern – hatten mehr Glück. Sie flohen vor zwei Jahren aus Venezuela, vor dem Hunger, vor der mangelhaften Bezahlung. Wer drüben einen Monat lang schuftet, sagen sie, kann seine Familie vom Lohn gerade mal zwei Tage lang ernähren.

Die Zwillinge haben einen alten Kinderwagen aus dem Müll gerettet und mit einem Karton samt selbst gemaltem Schild zu einer mobilen Telefonzelle umgebaut. Viele Flüchtlinge bedeuten viel Kommunikationsbedarf. Die Menschen wollen Nachrichten schicken, bei ihren Liebsten in Venezuela anrufen, aber nicht alle habe eine Telefonkarte aus Kolumbien. Die Stunde der zwei Schwestern, von deren Handys aus Anrufe getätigt werden oder ein paar Süßigkeiten, Getränke und Kekse gekauft werden können. Im Schnitt bleiben ihnen so 3.000 Kolumbianischen Pesos am Tag, ein Gewinn von etwa 0,85 Euro, sowie die Teams der Kinderhilfsorganisation Plan International, die immer wieder zu Hause vorbeischauen, Hygieneartikel und Nahrungsmittelgutscheine verteilen.